Das sechste Opfer (German Edition)
befand. Bereit für die Umwandlung in eine pdf-Datei. Ein hübsches Bild für das Cover war ebenfalls bereits entworfen. Er hatte zwar den Titel geändert und meine Geschichte »Das sechste Opfer« genannt, aber das war mir egal. Der nächste Schritt war getan.
Langsam kroch der Morgen in die stillen Räume des Verlages. Ein offengelassenes Fenster im Assistenten-Büro brachte frische Luft und das erwachende Geräusch der Straße vor der Tür nach innen. Die Vögel in den Büschen an der Seite des Gebäudes erwachten nach und nach und zwitscherten die Sonne an, die sich langsam über die Stadt erhob.
Ich ging hinunter in die Druckerei, wo ich ein Schild an der Toilettentür anbrachte und es mir darin gemütlich machte. DEFEKT! BITTE TOILETTE IM 1. STOCK BENUTZEN!
Ich hatte mir in einem Rucksack genügend zu essen und zu trinken mitgebracht, so dass ich locker einen Atomangriff überstehen würde. Dann zog ich mich um und ging wieder hinaus, um auf das Auftauchen der ersten Angestellten zu warten.
Halb neun kam der Geschäftsführer. Ich hatte mich in der Druckerei ans Fenster gesetzt und die verkehrsreiche Straße beobachtet, als ich sah, wie der Chef in seiner dicken Limousine auf den kleinen Parkplatz gegenüber einbog und dann mit wichtigen Schritten über die Ampelkreuzung, deren Ampel eigentlich noch Rot zeigte, und auf das Verlagsgebäude zuging.
Sobald er im Haus war, kehrte ich zurück in die kleine Toilette und stopfte alle Klorollen, die ich und die Putzfrauen vor wenigen Stunden noch darin deponiert hatten, in den Abfluss und spülte. Natürlich verstopfte das Becken in Sekundenschnelle und verursachte nach weiteren mehrmaligen Spülgängen eine Überschwemmung.
Als es ziemlich überzeugend aussah, setzte ich mich auf den Hocker, den ich vorher in den Raum gestellt hatte, legte meine Beine auf das Waschbecken und wartete wieder.
Schließlich hörte ich Stimmen und den Klang von Schritten auf dem Gang. Offensichtlich begann endlich der Arbeitstag.
Als ich irgendwann hörte, wie die Druckmaschine anlief, kam ich aus meinem Versteck heraus. Ich trug dieses Mal einen grauen Overall und darunter ein weißen Shirt, worin ich wie ein Klempner aussah. Für eine bessere Tarnung hatte ich mir sogar auch noch eine Rohrzange in die Hosentasche gesteckt, die ich demonstrativ herausragen ließ. Als ich den Flur betrat, kam mir ein junger Drucker entgegen, der nach meinem Geschmack ein paar Piercings zu viel im Gesicht hatte und auf dessen Arm eine Wildkatze tätowiert war, die sich mit einem Wal ein heißes Duell lieferte. Darunter war ein Adler, und an seinem Hals konnte ich noch die Reste eines Elefanten sehen. Der junge Mann liebte offenbar Tiere. Er ignorierte mich jedoch und ging mit tänzelndem Schritt an mir vorüber. Ich hingegen lief in die Richtung, aus der er gekommen war – in die Druckerei.
Ein etwas älterer Mann stand an der Druckmaschine und rüttelte an einer Tür der Maschine.
»Moin, Moin«, begrüßte ich den Mann.
»Morgen.« Er schien nicht gerade zu einem Gespräch aufgelegt zu sein und donnerte lieber ungehalten gegen die Maschinentür, was mir sehr entgegenkam, denn ich wollte eigentlich nur sehen, ob es mein Buch war, was da gedruckt wurde. Geschickt warf ich einen unauffälligen Blick auf die Blätter, die zu Hunderten aus der Druckmaschine geschossen kamen, doch ich wurde enttäuscht. Es handelte sich um ein völlig belangloses Buch um eine Frau, die gegen den übermächtigen Geist ihres verstorbenen Onkels ankämpfen muss.
Mit den schweren und schlurfenden Schritten eines viel beschäftigen Klempners verließ ich die Druckerei und ging nach oben, zum Chef.
Die Sekretärin, die mich mit großen Augen ansah, wollte mich eigentlich nicht zum Chef lassen, aber als ich ihr realitätsnah die Probleme einer defekten Toilette schilderte, ließ sie mich dann doch mit angeekeltem Gesicht durch.
Der war noch überraschter, einen einfachen Arbeiter in seinem Büro stehen zu sehen, der ihm erzählte, dass die Reparatur der Toilette noch ein paar Tage dauern würde.
Das Büro sah bei Tageslicht wesentlich einfacher und kleiner aus. Im Regal an der Wand waren so viele Bücher untergebracht, dass sich die Böden leicht bogen. Der Schreibtisch vor dem kleinen Fenster war vollgepackt, aber geordnet. An ihm saß in einem schweren ledernen Sessel ein junger Mann mit heller Haut und einem Schnauzbart, der den Mund komplett bedeckte. Dazu trug er eine schwarze Brille mit dickem Rand, die ihm ein
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