Das Spiel
verzweifeltes Gehirn vorgedrungen, er war so blumig und verlockend, dass man sich ihm einfach nicht entziehen konnte. Der Hund ging weiter, und als er sich der Schlafzimmertür näherte, fing er an zu knurren.
7
Jessie hörte das Klicken der Hundekrallen und begriff, dass er tatsächlich noch im Haus war und hierherkam. Sie fing an zu schreien. Sie wusste, dass das wahrscheinlich das Schlimmste war, was sie tun konnte – es widersprach jedem Rat, den sie je gehört hatte, wonach man einem potenziell gefährlichen Tier niemals zeigen durfte, dass man Angst hatte -, aber sie konnte nicht anders. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was den Streuner ins Schlafzimmer lockte.
Sie zog die Beine an und benutzte gleichzeitig die Handschellen, um sich am Kopfteil hochzuziehen. Dabei nahm sie keinen Blick von der Schlafzimmertür. Jetzt konnte sie den Hund knurren hören. Bei dem Geräusch fühlten sich ihre Eingeweide kraftlos und heiß und flüssig an.
Unter der Tür blieb er stehen. Dort hatten sich die Schatten bereits zusammengeballt, daher war der Hund für Jessie nur eine vage Gestalt am Boden – nicht sehr groß, aber auch kein Pudel oder Chihuahua. Zwei orangefarbene Sicheln reflektierten Sonnenlichts glitzerten in seinen Augen.
»Geh weg!«, schrie Jessie ihn an. »Geh weg! Hinaus! Du bist … du bist hier nicht erwünscht!« Das waren lächerliche Worte, aber welche wären es unter den gegebenen Umständen nicht gewesen? Ehe man sich’s versieht, werde ich ihn bitten, mir die Schlüssel von der Kommode zu holen, dachte sie.
An den Hinterläufen des schemenhaften Umrisses unter der Tür war eine Bewegung zu erkennen: Er hatte angefangen mit dem Schwanz zu wedeln. In einem sentimentalen Mädchenroman würde das wahrscheinlich bedeuten, dass der Streuner die Stimme der Frau auf dem Bett mit der Stimme eines geliebten, aber längst verschwundenen Herrchens verwechselt hatte. Aber Jessie wusste es besser. Hunde wedelten nicht nur mit dem Schwanz, wenn sie glücklich waren; sie wedelten auch – ebenso wie Katzen – wenn sie unentschlossen waren und noch versuchten, eine Situation abzuschätzen. Der Hund war kaum zusammengezuckt, als er ihre Stimme hörte, aber er traute dem halbdunklen Zimmer auch nicht. Jedenfalls noch nicht.
Der einstige Prinz wusste zwar noch nichts von Gewehren, aber er hatte in den sechs Wochen seit dem letzten Augusttag eine Menge anderer schmerzhafter Lektionen gelernt. Da nämlich hatte ihn Mr. Charles Sutlin, ein Anwalt aus Braintree, Massachusetts, im Wald ausgesetzt, damit er verhungerte, statt ihn mit nach Hause zu nehmen und die städtische und bundesstaatliche Hundesteuer von zusammen siebzig Dollar zu bezahlen. Siebzig Dollar für eine Töle, die nichts weiter als eine Promenadenmischung war, war nach Meinung von Charles Sutlin ein ziemlich stolzer Preis. Ein bisschen zu stolz. Er hatte erst in diesem Sommer einen Motorsegler für sich gekauft, zugegeben, eine Anschaffung, die weit im fünfstelligen Bereich lag, und man konnte behaupten, dass es eine ziemlich perverse Denkweise war, wenn man den Preis des Boots mit dem der Hundesteuer verglich, klar konnte man, jeder konnte das, aber darum ging es eigentlich gar nicht. Es ging darum, dass die Motorjacht eine geplante Anschaffung gewesen war. Diese spezielle Anschaffung stand schon seit mindestens zwei Jahren auf dem Einkaufszettel der Sutlins. Der Hund dagegen war lediglich aus einer Laune heraus beim Gemüsestand an der Straße in Harlow gekauft worden. Er hätte ihn nie gekauft, wenn seine Tochter nicht bei ihm gewesen wäre und sich in den Welpen verliebt hätte. »Der da, Daddy!«, hatte sie gesagt und darauf gedeutet. »Der mit dem weißen Fleck auf der Nase – der ganz allein steht, wie ein kleiner Prinz.« Und so hatte er ihr den Hund gekauft – niemand sollte behaupten, dass er es nicht verstand, sein kleines Mädchen glücklich zu machen -, aber siebzig Piepen (möglicherweise bis zu hundert, wenn Prinz in Klasse B, Großer Hund, eingestuft wurde) waren kein Pappenstiel, wenn es um einen Köter ging, der nicht einmal irgendwelche Papiere hatte. Zu viel Knete, hatte Mr. Charles Sutlin entschieden, als es Zeit wurde, die Hütte am See wieder für ein Jahr zuzusperren. Ihn auf dem Rücksitz des Saab mit nach Braintree zurückzunehmen, wäre auch eine Scheißangelegenheit – er würde überall hinpinkeln, vielleicht sogar auf die Teppichböden scheißen. Er überlegte, dass er ihm einen Zwinger von
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