Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
ab und spähte in die Dunkelheit.
Er verneigte sich höflich. »Ja, Mutter.«
Lady Juliana stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrengroßen Sohn auf die Wange küssen zu können, und er schloss sie kurz in die Arme. Sie duftete nach Rosenöl und Mandeln, genau wie früher. Es war ein Geruch, der ihn in seine Kindheit zurückversetzte und zur Abwechslung einmal schöne Erinnerungen wachrief.
»Komm«, sie ergriff seine Hand. »Du musst müde und hungrig sein. Komm mit hinein, mein Junge. Und willkommen zu Hause.«
»Danke.« Es klang kühl und förmlich.
Unwillig, aber ohne erkennbaren Widerstand ließ er sich zum Bergfried führen und die zwei Treppen zu den Privatgemächern der Familie hinauf. Julian wollte auf den Raum über der Halle zusteuern, der den Waringham seit Generationen als Wohngemach diente, aber seine Mutter zog ihn kopfschüttelnd weiter. »Scrope hat Robert dort drin erschlagen, und ich Scrope. Ich kann es nicht aushalten, dort zu sitzen.«
Julian war stehen geblieben. » Du hast Arthur Scrope erschlagen?«
Sie brachte ihn ein paar Türen weiter, über die Schwelle des Zimmers, das sie mit seinem Vater bewohnt hatte, und schloss die Tür. »Das hat dir niemand gesagt?«
Julian sank auf einen der schlichten Schemel am Tisch und schüttelte den Kopf.
»Nun, ich hänge es selbst nicht an die große Glocke«, gestand sie, während sie im Raum umherging und mit einem Kienspan ein paar Kerzen auf dem Tisch und dem Kaminsims anzündete. »Owen Tudor hat ein Wort mit dem König geredet, der König mit dem Sheriff von Kent, aber wenn York es erführe, würde er sich vermutlich den Spaß erlauben, mir Scherereien zu machen.«
»Scherereien?«, fragte Julian ungläubig. »Weil du in Notwehr einen Mann getötet hast, der dich mit gezückter Waffe bedrohte?«
»Kein Sheriff würde glauben, dass eine Frau einen bewaffneten Mann töten kann, Julian. Noch dazu einen Mann wie Scrope.«
»Wie hast du’s gemacht?«, fragte er neugierig.
Seine Mutter schob den weiten Ärmel ihres Kleides höher, als eigentlich schicklich war, und enthüllte die lederne Messerhülle oberhalb des Ellbogens.
Julian betrachtete sie verwundert. »Ah. Ich habe mich früher oft gefragt, was es wohl ist, das du unter dem Kleid am Arm trägst«, sagte er dann. »Ich hab es manchmal gefühlt.«
Sie lächelte schwach. Jetzt da es heller war, sah Julian, wie blass und spitz ihr Gesicht war. Seine Mutter war Ende vierzig. Der blonde Haaransatz, der unter der schlichten Haube hervorschaute, war mit vielen Silberfäden durchzogen, aber sie war ihm nie alt erschienen. Bis heute. Jetzt wirkten die geröteten Augen müde, ihre Haut welk.
»Und plagt dich dein Gewissen wegen Scrope?«, wollte er wissen. »Meidest du deswegen den Ort, wo sein Blut geflossen ist?«
»Nein.« Es klang kategorisch. »Arthur Scrope hat deinem Vater und mir immer nur Unglück beschert. Er hatte hundertfach verdient zu sterben. Ich bedaure höchstens, dass ich ihn nicht viel früher getötet habe. Bevor er deinen Vater ermorden konnte.« Ihre Stimme bebte bei den letzten Worten, aber sie räusperte sich entschlossen, trat hinter ihren Sohn und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Lass uns heute Abend nicht von ihm sprechen.«
»Wie du willst.«
»Bist du hungrig?«
»Fürchterlich«, gestand Julian.
»Dann entschuldige mich einen Moment.« Sie nahm einen der Kerzenhalter und ging hinaus. Es war spät geworden, vermutlich hatte das Gesinde sich längst schlafen gelegt. Also würde sie selbst in die Küche hinuntergehen, um ihm etwas zu holen. Das war ihm unangenehm. Er wollte nicht, dass sie ihn bemutterte. Aber er war zu erledigt, um ihr nachzugehen und sie zu hindern, ganz abgesehen davon, dass er sich in der Küche nicht auskannte und vermutlich verhungert wäre, ehe er irgendetwas zu essen gefunden hätte.
Sie brauchte nicht lange. Als Julian ihre Schritte hörte, stand er auf und öffnete ihr die Tür. Mit einem Holzbrett in der Linken, der Kerze in der Rechten trat sie über die Schwelle und bemerkte: »Das erinnert mich an die Erntezeiten, wenn dein Vater so spät heimkam, dass er das Essen versäumte. Nicht zu fassen, wie er sich hier manchmal abgerackert hat. Für Robert, dieses Scheusal – Gott hab ihn selig.«
Julian grinste flüchtig, sagte aber nichts. Sie hatte ihm frisches, deftiges Roggenbrot, Schinken und einen Krug dunkles Bier gebracht, und er fiel gierig darüber her. Julian hatte ganz und gar nichts gegen schlichte ländliche
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