Das Spiel der Könige - Gablé, R: Spiel der Könige
haben werde.«
Julian stand abrupt auf. »Ich geh zur Vesper.«
Edward erhob sich ebenfalls und verstellte ihm den Weg. »Ich kann verstehen, dass es viele Dinge gibt, die Ihr mir und den Meinen nicht vergeben könnt«, sagte er leise. »Aber ich zahle für meine Sünden, Waringham, denkt Ihr nicht? Der Mann, den ich für meinen treuesten Freund hielt, hat mich verraten und mein eigener Bruder obendrein. Meine wundervolle Elizabeth schenkt mir nichts als Töchter. Wenn ich meine Macht je wiedererlangen will, brauche ich einen Sohn.«
Julian fand es fast unmöglich, dem Flehen dieser braunen Augen standzuhalten, darum wich er aus. »Woher wollt Ihr wissen, dass es ein Junge war?«
»Hastings hat es mir erzählt. Also. Sagt mir die Wahrheit.«
Julian setzte sich auf die Tischkante, nahm den gefallenen schwarzen König und rollte ihn zwischen den Händen. Den Blick auf die Ebenholzfigur gerichtet, sagte er: »In einer kalten Frühlingsnacht vor sechs Jahren fand der Bruder Pförtner eines Klosters irgendwo in Südengland vor seiner Tür einen Säugling, der in feines Tuch gewickelt war und eine großzügige Spende mitbrachte. Inzwischen ist aus dem Säugling der Liebling aller Brüder geworden, und er lernt mit Eifer und wachem Verstand seine Buchstaben. Niemand wird je wissen, wer dieser kleine Novize ist. Und niemand wird je beweisen können, wessen Sohn er ist.«
»Wo?«, fragte Edward. Es klang heiser. Er packte Julians Arm, und der Griff fühlte sich an wie ein Schraubstock. »Wo ist er, Waringham?«
Julian sah auf die Pranke, die ihn gepackt hielt.
Edward ließ ihn los. »Sagt es mir!«
Julian zog eine Braue in die Höhe. »Andernfalls?«
»Oh … keine Ahnung.« Der König raufte sich die Haare. »Ich fange an zu singen!«, drohte er dann.
Julian lachte in sich hinein, aber er schüttelte den Kopf. »Ich werde es Euch nicht verraten, Mylord. Ihr seid ein besserer Mann als Euer Vater, aber in Eurer Gier nach Macht seid Ihr nicht weniger skrupellos. Ihr würdet Janets Leben zerstören, meins, nicht zuletzt das des Kindes, Eure Königin, die ich zufällig schätze, unter irgendeinem Vorwand abservieren, entehren und auf irgendeiner Burg in der Provinz lebendig begraben – und das alles völlig umsonst, denn es würde ja doch niemand glauben, dass der Knabe Euer Sohn ist. Nein«, schloss er. »Ohne mich.«
Edward warf sich in einen der gepolsterten Sessel und fuhr sich noch einmal mit der Hand durch die dunklen Haare. »Jesus … Ihr habt Recht. Vermutlich wäre ich in der Lage, all das zu tun.« Die Erkenntnis schien ihn zu erschüttern.
Julian sagte nichts.
Edward lehnte sich zurück, sah blinzelnd zu ihm auf und fragte: »Wie war Euer Vater, Waringham?«
Julian grinste geisterhaft. »Der unerschütterlichste aller Lancastrianer.«
Edward winkte ab. »Ja, ja, und mit seinem letzten Atemzug hat er meinen Vater verflucht, das weiß ich alles. Aber ich meine, wie war er? Woran erinnert Ihr Euch, wenn Ihr an Eure Jugend denkt?«
»Wozu wollt Ihr das wissen?«, fragte Julian argwöhnisch.
»Nur so, ich bin neugierig.«
Julian überlegte. Ihm war immer unbehaglich beim Gedanken an seine Kindheit, und er hielt sich nie lange in Erinnerungen auf. »Er war … Vermutlich war er der anständigste Mensch, dem ich je begegnet bin«, antwortete er zögernd. »Und er war gnadenlos in seiner Anständigkeit. Er war nicht viel daheim, als meine Schwester und ich in Waringham aufwuchsen, aber sein Wort war immer da, und es war Gesetz. In meiner Vorstellung hatte er mehr Autorität als Gott. Und wenn er daheim war, dann war er wie Gott. Unnahbar und streng. Ich habe meinen Vater gefürchtet, als ich ein Junge war.«
»Ich auch«, gestand Edward.
»Irgendwie hat er es immer verstanden, mir das Gefühl zu vermitteln, dass ich sein Beispiel niemals erreichen kann, und als ich anfing, zu durchschauen, dass er das absichtlich tat, hab ich ihn gehasst.«
»Ich auch.«
Julian lächelte verlegen. »Mit dreizehn kam ich hierher. Und nachdem ich dem Earl of Warwick begegnet war, habe ich mir sehnlich gewünscht, er wäre mein Vater.«
Edward sah ihm in die Augen. »Ich auch.«
»Tja.« Julian brach den Blickkontakt und setzte sich ebenfalls wieder in einen der Sessel. »Inzwischen sind wir schon wieder klüger geworden, haben auch ihn durchschaut und erkannt, dass wir mit der Wahl, die das Schicksal für uns getroffen hat, wohl doch besser bedient waren.«
»Ihr vielleicht, Julian«, entgegnete Edward. »Ich
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