Das Spiel des Schicksals
ein, um das ewige Bassgehämmere von nebenan zu übertönen, und zogen die Vorhänge vor, sodass sie im Schein der Lichterketten aßen. Der Regen prasselte gegen die Fensterscheiben. Es war richtig gemütlich.
Cat verspürte ein Schuldgefühl bei dem Gedanken, wie anders dieses Weihnachten hätte sein können; wie es gewesen wäre, wenn ihre Eltern noch leben würden. Bel wäre natürlich auch dabei. Sie alle würden sich um den Tisch herumdrängen, schwatzen und lachen. Unter dem Baum würden die Geschenke liegen, und es gäbe hausgemachte Pastete mit Hackfleischfüllung. Ein Weihnachten im Kreis der Familie, wie aus einem Disneyfilm. Hör auf, dir Luftschlösser zu bauen, befahl Cat sich selbst.
Bel war sehr guter Laune. Sie hatte Federboas für sie beide gekauft, Pink für sich selbst und Lila für Cat, und sie bestand darauf, dass sie sich zurechtmachten. Sie schminkte Cat und legte ihr silberfarbenen Lidschatten auf. Sie zwang Cat sogar dazu, den Anhänger zu tragen, der in einem Knallbonbon gesteckt hatte – ein vierblättriges Kleeblatt aus Plastik.
Danach zog sie schwungvoll einen Schlüsselbund hervor. »Greg hat ihn bei mir gelassen. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust auf eine kleine Palastführung.«
»Du sagst doch immer, der Laden sei ein Drecksloch.«
»Das größte, das es gibt. Aber die Karaoke-Maschine von der Weihnachtsfeier ist noch da, und es gibt so viele Chips, wie du nur essen kannst – außerdem einen Breitwandfernseher in der Bar. Du wirst sehen, das macht Spaß. Als ob man nach Schulschluss durch die Klassenräume schleicht.«
Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche betrat Cat die schmuddelige Eingangshalle des Palais Luxe. Diesmal gingen sie allerdings in den Spielsaal, in dem drei Blackjacktische und drei Rouletteräder standen. Ein Weihnachtsbaum aus Plastik lehnte wie betrunken an einem der Glücksspielautomaten. Der gemusterte Teppich war dunkel vor Dreck, die Decke war niedrig, und in der abgestandenen Luft lag alter Schweißgeruch.
Bel schaltete die Lichter und die Musikanlage an, überflutete den Saal mit der Stimme eines Schnulzensängers, der den Himmel über Paris besang. Die Glücksspielautomaten erwachten klappernd und rasselnd zum Leben.
»Unser ganz privater Partypalast«, sagte sie fröhlich und ging zur Bar, um sich eine Cola mit einem Schuss Rum einzuschenken. Sie brachte Cat eine Dose Limonade und einen ganzen Arm voller Snacks mit. »Also, wozu hast du Lust? Roulette? Poker? Auf James Bond, der lässig in der Ecke lehnt?«
»Mehr als Mau-Mau kriege ich nicht hin.«
»Das werden wir ja sehen.« Bel warf sich ihre Federboa über die Schultern und stolzierte zum nächsten Roulettetisch. »Wenn Madam so gütig wäre, ihre Chips zu setzen.«
Cat gab nach. Sie riss eine Tüte mit Erdnüssen auf und legte drei von ihnen auf das in Kästchen eingeteilte Tuch neben dem Rad. Nummer acht, eine echte Insiderwette. Acht war die Zahl des Trumpfs der Gerechtigkeit.
Bel drehte das Rad und warf die Kugel entgegen der Drehrichtung hinein. »Nichts geht mehr!«, rief sie, als die Kugel sich anschickte, aus der äußeren Spur in Richtung der nummerierten Fächer zu kullern. »Pech«, sagte sie und zeigte auf das grüne Viereck mit der Null auf der Einteilung neben dem Rouletterad. Dann fegte sie Cats Erdnüsse zusammen. »Versuch’s noch mal.«
Aber Cat starrte immer noch auf das Rad, wo für den Bruchteil einer Sekunde das Bild der Königin der Kelche vor ihren Augen aufgetaucht war, die sich über die nummerierten Fächer beugte. »Nein«, sagte sie mit ungewohnter Heftigkeit. »Das reicht.«
Ihre Tante lachte. »Also schön, Pussykätzchen. Behalte deine Erdnüsse. Gestern war hier ein Kerl – blutunterlaufene
Augen, hat vermutlich seit Tagen nicht seine Klamotten gewechselt – und ich habe zugesehen, wie er in einer Stunde zehntausend Pfund verloren hat. Zehntausend! Aber man kann sie nicht daran hindern, und sie würden es dir auch gar nicht danken, wenn du es versuchen würdest.« Sie runzelte die Stirn. Ihre übersprudelnde Fröhlichkeit versiegte. »Weißt du, was ich gehört habe? Früher, in alter Zeit, war die Glücksgöttin ein Mädchen namens Hecuba. Das ist die Königin der Hexen.«
Cats Mund fühlte sich trocken an. »Wer hat dir das gesagt? «
»Ach … nur jemand, den ich mal kannte.«
»Ein Spieler?«
»Ja. Ein abergläubischer Haufen.« Bel räusperte sich. »Nach den Feiertagen habe ich einen Termin mit Leo, der vom Pokerturnier, weißt du noch?
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