Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
er kann nicht verabscheuen, was er verehrt hat. Ihr wart für ihn ein Lichtblick. Auch wenn er noch ein halber Knabe ist, weiß er sehr wohl, dass ein König ungezählte Schmeichler, aber kaum Freunde haben kann«, bemerkte Sidney schroff. »Bedauerlicherweise hielt er Lord Dudley stets für einen der letzteren und vertraute ihm blind. Wie Euch, seinem Mündel.«
Cass wandte den Blick ab. »Ihr habt recht, mich zu hassen. Ich habe Edwards Rücksicht nicht verdient«, flüsterte sie. »Bitte vergebt mir.«
»Ich habe Euch nichts zu vergeben. Was ich tue, tue ich für meinen König«, erwiderte Sidney schlicht und schob sie von sich weg. Sein Gesicht verschattete sich weiter. »Edward befahl mir, Euch einen letzten Gruß zu entbieten: Perfer et obdura. Finis coronat opus .«
Cass übersetzte stumm die lateinische Botschaft: Vollbringe und halte aus. Das Ende krönt das Werk. »Was soll das heißen?«
»Der König kämpft mit dem Tod.«
Erschrocken schüttelte Cass Sidneys Arm ab. »Das ist nicht wahr! Seine Ärzte probieren ein neues Mittel. Gestern sagten sie, er erhole sich.«
»Dafür werden diese Tölpel bezahlt, und zu etwas anderem als Geschwätz sind sie ohnehin nicht fähig«, knurrte der Spanier in ihrem Rücken abfällig.
Cass beachtete ihn nicht, beschwörend starrte sie in Sidneys Gesicht. »Er war voller Pläne, er lachte, sprach von der Jagd, vom Frühling ...«
Sidney schüttelte wieder den Kopf. Diesmal energisch. »Das Fieber ist trotz Purgation und regelmäßigem Schröpfen zurückgekehrt. Edward ist sicher, dass er sehr bald seinen Frieden mit Gott machen muss. Er wollte Euch sehen, um Abschied zu nehmen.«
»Bitte!«, flehte Cass. »Ich will zu ihm. Ein letztes Mal. Ich will ihm danken, für ihn beten, ihm sagen ...«
»Du wirst kein weiteres Unheil mehr anrichten, dein Spiel ist aus«, zischte der Spanier.
»Genug!« Sidney hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. An Cass gewandt, sagte er. »Er will Euch unter keinen Umständen mehr sehen. Und ich würde es unter keinen Umständen mehr zulassen.«
Cass erschrak. Neues Misstrauen regte sich in ihr. So hatte es Edwards Vater mit seinen Vertrauten, Frauen und Freunden gehalten, wenn er ihren Tod bestimmt hatte. Heinrich dem Achten war es möglich gewesen, noch am Abend vor einer Verhaftung behaglich und voller Zuneigung mit denen zusammenzusitzen, deren Todesurteil er gerade unterschrieben hatte. Die Gunst eines Königs welkt rascher als ein Salatkopf , hatte de Selve sie gewarnt. Edward musste sie hassen. Und warum sollten Sidney und sein grimmiger Begleiter ihr helfen? Der eine – so schien es – ein heimlicher Katholik und der andere Spanier!
Schaudernd betrachtete Cass den Mauerspalt und spürte die feuchte Kälte, die daraus hervorkroch und nach ihr griff. Wenn sie nur noch einmal zu Edward könnte! Ihm erklären, was de Selve ihr bedeutet hatte. Mit ihm reden ... Worüber? Verrat? Oder das Testament, das sie ihm im Auftrag von Dudley schmackhaft gemacht hatte?
Das Testament!
Bei Gott, darum ging es hier. Edwards letzter Wille. Er war bislang nur ein Entwurf, noch nicht beglaubigt und vom Parlament abgesegnet. Die Katholiken des Hofes und die Spanier schienen es zu kennen! Vielleicht hofften sie, den König auf dem Sterbebett noch zu einer Änderung bewegen zu können. Dabei war sie im Weg, darum hatte man sie denunziert. Darum hatte man nur sie abgeführt, nicht de Selve, der in diesem Punkt die gleichen Interessen wie die Spanier und die anderen Papisten hatte! Sie musste bei Hof bleiben und einen Weg zu Edward finden. Zur Not musste sie Dudley einweihen.
Sidney schob sie auf den Mauerspalt zu.
»Nein!«, brachte sie stammelnd hervor. »Ich ... Ich kann unmöglich in meinem Aufzug nach London. Noch dazu allein. Man würde mich für ...«
»... das halten, was du bist, ein Dirne«, raunte der Spanier.
Sidney überging den gehässigen Einwurf. »Vertraut uns, Jungfer Cass, es ist für alles gesorgt. Ein Fährmann hält am Kai die Kleider einer Magd bereit. Ihr werdet in der ersten Zeit in Lunetta van Bercks Haushalt leben. Unauffällig und unerkannt.« Er wandte sich an seinen Begleiter. »Ihr habt Euch um alles gekümmert?«
Sein Gefährte nickte widerwillig. »Obwohl das Gewand einer van Berckschen Magd bei Weitem zu gut für sie ist.«
Sir Henry hob sacht die Hand. »Ich kann mich hoffentlich auf Euch verlassen?«
»Ich habe mein Ehrenwort gegeben. Gegen meinen Willen, gegen meinen Glauben und gegen mein Gewissen.
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