Das Tarot der Engel: Dritter Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
sich über sie. Cass spürte, wie die Klinge ihres eigenen Messers ihr die Hand zerschnitt. Sie wollte sich umdrehen, ihn abschütteln. Der Spanier presste sie erbarmungslos auf den Stein. Cass’ Atem setzte aus, als sein Dolch unter ihr Kleid fuhr.
Herr, ich flehe dich an. Hilf mir. Wenn du mich leben lässt, werde ich meinen Glauben nie mehr verraten. Das gelobe ich!
Nat fuhr auf. Das Knacken von Zweigen hatte ihn geweckt. Im Gebüsch zankten Amseln. Ihr übliches Tagwerk. Die Sonne würde gleich aufgehen. Er fror, und seine Glieder waren steif. Eine Nacht in den Obstgärten war verflixt unbequem. Aber leider hatte er gestern den Kampf um eine Strohschütte gegen einen Stallburschen verloren. Besser gesagt, zwei. Diese Saustricke hielten zusammen wie Pech und Schwefel. In London war ihm das nicht passiert. Unter der Bridge hatte er einen unantastbaren Stammplatz. Dafür sorgte Joshua Painbody. Der König der Themsekais hielt strenge Ordnung unter seinen Bettlern und Dieben.
Verdammte Hurenscheiße, jetzt sehnte er sich schon nach Meister Malefiz! Nee, nach Abwechslung und der brodelnden City, danach sehnte er sich. Er hatte die nutzlosen Tage in Greenwich satt. Das Herumlungern vor Toren, das ständige Abtauchen in Nischen, die Suche nach Verstecken vor argwöhnischen Lakaien und das Warten auf den Pagen, der ihm Botengänge aufhalste, den Herrn spielte und ihn Stiefel mit Pferdepisse putzen ließ. Pah, selbst der Gerstenbrei mit Speck hatte an Glanz verloren.
Nat reckte die steifen Glieder und wollte unter einem Haselstrauch hervorkriechen. Wirklich klamm, diese Nächte im Garten, auch wenn es hier keine zwickenden Wanzen gab ... Wieder knackten Zweige.
Holla, das waren keine Amseln, das war ... Er kniff die Augen zusammen ... ein Mann in losem Hemd und nachlässig geschnürten Beinkleidern. Sah aus, als sei er hastig aus dem Bett aufgestanden. Nicht mal ein Wams hatte er sich übergeworfen, dafür trug er eine Armbrust mit eingelegtem Pfeil. Kurz sah Nat ein Gesicht zwischen zwei Apfelbäumen aufleuchten. Nicht nur die Waffe, auch der Mann schien geladen zu sein. Reichlich früh für die Hasenjagd.
Rasch kroch Nat zurück unter den Haselstrauch. In der Ferne – wahrscheinlich vom Palast her – ertönte ein Schrei. Ein Schrei der Angst. Schien ein turbulenter Tag zu werden. Immerhin besser als Nichtstun.
Ein reißendes Geräusch zerschnitt die Dunkelheit, als der Spanier die Schnürung von Cass’ Mieder auftrennte. Sie atmete stoßweise, gierig füllten sich ihre Lungen mit Luft.
»Besser so?«, knurrte der Spanier und robbte wieder nach hinten.
»Ich dachte, du wolltest mich töten.«
»Ich bin kein Narr. Wärest du erstickt, hätte mir dein Leichnam den Weg nach draußen versperrt. Und ich habe keine Lust, mit dem Hintern voran in die Arme von Dudleys Soldaten zurückzukriechen. Vorwärts!«
Cass stemmte sich vom Boden hoch, tastete mit der Rechten nach den Tunnelwänden, spürte über sich weiche, seidige Rundungen, die raschelten und sich wieder beruhigten. Erst jetzt schrie sie auf und riss ihr kümmerliches Messer hervor. »Was zur Hölle ist das?«
»Fledermäuse.« Der Spanier schien etwas zu ahnen. Er tastete an ihrem Arm entlang bis hoch zur Hand, entwand ihr zornig die Klinge und warf sie hinter sich. »Vollkommen harmlos. Was man von einer Schlange wie dir kaum behaupten kann.«
Verflucht! Jetzt war sie unbewaffnet, und er brauchte nur noch auf einen günstigeren Ort zu warten, um sich ihrer zu entledigen.
»Ich will hier endlich raus!«, schrie Cass gellend.
»Beruhige dich, selbst eine bissige Ratte würdest du mit dem Duft, den du verströmst, betäuben. Es ist Patchouli, nicht wahr? Der Duft von allen Huren von de Selve. Er zeichnet sie damit, wenn er ihrer überdrüssig ist. Der halbe Hof stinkt wie eine Schar rolliger Katzen, und alle fahren die Krallen aus, wenn sie einander begegnen.«
Cass’ Herz schlug hart und schmerzhaft gegen ihre Rippen.
Alle Huren von de Selve?
Sie biss sich auf die Lippen und kroch weiter, um den Fragen zu entkommen, die sie dem Spanier gern gestellt hätte. Wie albern du bist!, schalt sie sich. Um den Duft der Begierde willen wirst du vielleicht sterben. Was kümmert es dich noch, wie viele Mädchen Antoine bei Hof genossen hat, wie viele er in seinem Bett verführt und geschwängert hat ... Nein, das nicht.
Ihr Schmerz verwandelte sich in trotzigen Zorn. Und de Selve hat mich nicht mit Patchouli gezeichnet. Er hat das Öl nur für sich
Weitere Kostenlose Bücher