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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Nella kümmerte, nahm ich an, dass sie eine Art Haushälterin oder Lehrerin sein musste, und das bestätigten die Briefe auch. Die Schrift schnitt sich durch das grobe Papier, als würde der Absender mit Nadeln schreiben. Die Briefe waren alle gleich lang. Eine Seite mit einem großen Rand.
    Es musste sich um eine bezahlte Leistung handeln, dachte ich, und das nicht nur, weil Lauritsen ein paarmal den Betrag, Sie wissen schon anmahnte und in den Briefen immer wieder die gleichen zwei Daten auftauchten. Der 1. Januar und der 1. August, in der Zeit von 1914 bis 1926, als Nella achtzehn Jahre alt geworden sein musste. Nein, was mich davon überzeugte, waren die kühlen, ans Widerwillige grenzenden Berichte, die jeden einzelnen Brief füllten. Nellas Kindheit in Stichworten, so hätte man den Inhalt auch bezeichnen können. Ich dürfte streng genommen die Letzte sein, die sich über leicht verdientes Geld ärgerte, doch ich hatte das Gefühl, Simon zu kennen. Er hatte für Lauritsens leblose Informationen zweifellos tief in die Tasche greifen müssen, und das Einzige, was er dafür bekommen hatte, waren in einigen Fällen die reinsten Rohentwürfe. Briefe voller durchgestrichener Worte und zusammenhangloser Sätze, als hätte Lauritsen sie so schnell wie möglich fertigschreiben wollen. »Nella geht es gut«, führte sie typischerweise aus, gefolgt von »sie ist wie gewohnt gut in Dänisch, Rechnen und Musik.« »Im Frühjahr hatte sie eine schlimme Lungenentzündung, die sieben Wochen gedauert hat.« »Sie hat noch immer Angst vor den ›Gespenstern‹ im Turmzimmer und all ihren Geräuschen, die mit den Jahren nicht weniger geworden sind. Doch sie hat angefangen, Klavier zu spielen. Das scheint ihr zu helfen.« »Wir tun, was wir können, um Nella von dem Turm fernzuhalten. Hoffentlich hört sie bald auf zu schlafwandeln.« »Sie liest alles, was ihr in die Hände fällt, nur nicht Lilys Antonias Bücher. Antonia korrespondiert mit ein paar ausländischen Bekannten, bekommt aber sonst keinen Besuch. Sie versteht sich nicht gut mit Nella und hat es nie getan.« Und »Nella hat keine Probleme damit zu glauben, dass Lily aus dem Fenster gesprungen ist und dass Sie ertrunken sind. So ist es am besten für sie. Das wissen Sie selbst genau.«
    Natürlich wunderte ich mich über die letzten Sätze. In allen Interviews sagte Antonia das genaue Gegenteil. Lily war also doch nicht in den Tod gesprungen, und die kleine Nella durfte nicht wissen, wie in Wirklichkeit alles zusammenhing. Weder was Lilys Schicksal (wie auch immer dieses aussehen mochte) noch was Simons anging. Ich spürte den Drang, auf und ab zu gehen. Der Lack meiner Dielen war zwischen Bett und Tisch ohnehin abgenutzt, ich folgte meiner eigenen Spur. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich selbst eine Waise war und wusste, wie es war, auf der Straße zu stehen und in Fenster mit Familien dahinter zu gucken. Doch ich kam nicht umhin zu denken, dass Simon Antonia hätte die Stirn bieten und darauf bestehen müssen, seine Tochter zu sehen, wenn er sie denn vermisste. Doch er hatte sich anders entschieden. Zum einen oder anderen Zeitpunkt hatte er sein neues, komfortables Leben mit seiner kleinen Karen seiner kleinen Tochter auf Liljenholm vorgezogen. Simon hatte sich für den gewinnbringenden Verlag und gegen Nella entschieden, so musste alles zusammenhängen. Ich fragte mich, ob er Karen erzählt hatte, dass er eine Tochter hatte, oder ob sie das erst durch das Schnüffeln in seinen Dokumenten herausgefunden hatte. Es dürfte ohnehin zu einem Erbschaftsprozess kommen, wenn Simon einmal starb. Eine Tochter, mit der Karen alles teilen sollte, ohne das wirklich zu wollen. Doch das beschäftigte mich zu diesem Zeitpunkt weniger. Ich war wohl zu sehr daran gewöhnt, dass das Geld immer auf der Durchreise war.
    Nein, was mich weiter beschäftigte, während langsam die Nacht hereinbrach, war der Gedanke an meine eigene Mutter. Meine leibliche Mutter. Soweit ich zurückdenken konnte, hatte ich im Kopf lange Gespräche mit ihr geführt, nur um genau zu wissen, was ich ihr sagen wollte, falls ich sie einmal zufällig auf der Straße treffen sollte. Wie konntest du mich im Kinderheim im Vodroffsvej lassen? Warum bist du nicht gekommen und hast mich wieder abgeholt? Du ahnst nicht, wie sehr ich dich vermisst habe!, wollte ich sagen, und jedes einzelne Wort war wahr. Ich bin mir von Anfang an falsch vorgekommen. Vollkommen falsch, und ich habe gedacht, dass wenn überhaupt

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