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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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und ich habe keine Zeit zu verlieren. Dies ist ein Notfall. Halten Sie den Bus an.«
    »Ich sehe hier keine Haltestelle. Du etwa?«
    »Das ist ein Notfall! Sie müssen den Bus anhalten!«
    »Ich muss überhaupt nichts«, knurrte der Fahrer.
    Ich merkte, dass man mit ihm nicht vernünftig reden konnte. Kein Wort, das ich sagte, würden ihn dazu bringen, einen unplanmäßigen Stopp mitten auf der B3136 einzulegen. Draußen nieselte es; umgehendes Handeln war erforderlich. Ohne über die sehr wahrscheinlich eintretenden Konsequenzen nachzudenken, drehte ich mich zur Tür um und zog die Notbremse. Ringsum keuchten die Fahrgäste auf, gleichzeitig zischten kreischend die Bremsen, und alles fiel mit einem mörderischen Ruck nach vorn. Mein Arm wurde von der vertikalen Haltestange weggerissen. Etwas traf meine Schulter, und etwas anderes schlug mir einen blauen Fleck auf den Hintern. Aber wundersamerweise blieb ich auf den Beinen.
    In dem Moment, in dem der Bus zum Stehen kam, war ich auch schon draußen. Später erfuhr ich, dass der Busfahrer geschlagene fünf Minuten mit wedelnden Armen am Straßenrand stand, außer sich vor Zorn, und keine Ahnung hatte, was er nun tun sollte. Für eine solche Situation gab es weder ein Protokoll noch einen Präzedenzfall. Ich bekam von diesem Drama jedoch nichts mit. Ich sah mich nicht um. Ich rannte wie ein Irrer. Mein ganzes Sein war auf ein einziges Ziel gerichtet. Irgendwie musste ich die Zeit zurückdrehen.
    Jedes Problem, sagte ich mir, hat eine mathematische Lösung. Mein Problem war, dass ich keine Ahnung hatte, wo entlang der B3136 Mr. Petersons Buch den Schulbus verlassen hatte. Ich hatte zu besagtem Zeitpunkt auf dem Boden gehockt.
    Also, was genau wusste ich?
    Ich wusste, dass die B3136 eine gewundene Landstraße war, und ich wusste, dass der Schulbus alt, klapprig und schwerfällig war. Es schien daher unwahrscheinlich, dass er sonderlich schnell gefahren war. Er hatte, so schätzte ich, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa sechzig Kilometer pro Stunde – und das war noch großzügig bemessen. Sechzig Kilometer pro Stunde, dachte ich, lag vermutlich am oberen Limit dessen, wozu dieser Schulbus in der Lage war.
    Wie viel Zeit war zwischen dem Hinauswurf des Buches und dem Anhalten des Busses vergangen? Da ich nicht die Geistesgegenwart besessen hatte, auf meine Armbanduhr zu schauen, war diese Schätzung schwieriger zu bewerkstelligen. Ich musste mich auf meine subjektiven Eindrücke verlassen, die bestenfalls schwammig waren. Wie lange hatte es gedauert, bis ich wieder zu Atem gekommen war, meine Tasche genommen hatte, die Treppe hinuntergefallen war, mit dem Fahrer gestritten und schließlich den Bus angehalten hatte? Ich kam zu der Überzeugung, dass es mindestens zwei Minuten gewesen sein müssen, eher drei.
    Sechzig Kilometer pro Stunde ist gleich ein Kilometer pro Minute. Entfernung ist gleich Geschwindigkeit multipliziert mit Zeit. Nach meiner Berechnung war Mr. Petersons Buch etwa zwei bis drei Kilometer weit weg.
    Wie schnell konnte ich laufen? Ich wusste, dass einen Kilometer in zweieinhalb Minuten zu laufen als eindrucksvolle sportliche Leistung galt. Ich war voller Adrenalin, aber ich war ganz gewiss kein Athlet. Ich gab mir siebeneinhalb Minuten Laufzeit. Dann fing ich an zu suchen.
    Über eine Stunde suchte ich in dem nassen Gras und den Hecken. Ich fand so viele leere Getränkedosen, Chipstüten und Schokoriegelpapiere, um damit mehrere Mülltonnen zu füllen. Ich fand Toilettenrollen und zerbrochenes Glas, Hamburgerverpackungen und eine Müslischachtel. Ich fand alle möglichen Dinge, die verloren gegangen oder weggeworfen worden waren – ein Plüschkaninchen, einen Außenspiegel, einen Scheibenwischer. Ich fand ausgesprochene Merkwürdigkeiten: ein Handtuch, ein Paar karierte Hausschuhe, einen Tennisschläger, eine Unterhose. In der Nähe eines Rastplatzes fand ich ein Kondom – ein benutztes Kondom. Es lag ordentlich und glatt auf einem kleinen grauen Stein. An diesem Punkt fing ich an zu weinen. Ich setzte mich auf den Bordstein – in einem sicheren Abstand von fünf Metern von dem Kondom entfernt –, starrte auf meine schlammigen, nassen Schuhe und weinte. Ich fand den Zustand des Universums gelinde gesagt zum Kotzen. Nicht nur, dass Leute neben der B3136 Geschlechtsverkehr hatten. Das war im Großen und Ganzen betrachtet wohl okay; immerhin trafen sie Vorsichtsmaßnahmen, um nicht noch mehr Kinder in die Welt zu setzen. Ich hatte nämlich

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