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Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)

Titel: Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gavin Extence
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hatte ich das Überraschungsmoment auf meiner Seite, außerdem meine völlige Unkenntnis der Regeln eines »fairen« Kampfes – darüber hinaus einen gewissen Einblick in das Verhalten von sich bewegenden Körpern. Und so lieh ich mir ein bisschen kinetische Energie von dem anfahrenden Bus, sprang Drake Mackenzie an und fuhr ihm mit meinen Fingernägeln ins Gesicht. Es gelang mir, mehrere Furchen zu reißen, von denen die längste von seinem linken Augenwinkel bis zu seiner Unterlippe reichte. Er stieß ein Geheul aus, das von Unglauben und Schmerz zeugte, gewürzt mit pulsierendem Blut, hob einen Arm in lahmer Abwehrhaltung – und außerdem zu spät – und berührte seine verschrammte Wange. Das, so dachte ich mir, sei meine Chance. Ich ließ von meiner wilden, ungestümen Attacke ab und griff nach dem Buch. Unglücklicherweise hatte ich nicht bedacht – falls ich überhaupt gedacht hatte –, dass mein Angriff meinen Gegner dazu brachte, angesichts des plötzlichen und unerwarteten Schmerzes seinen Griff um das Objekt meiner Begierde zu verkrampfen. Meine Finger schlossen sich um das Buch, zogen und rutschten ab. Dann wurde mein Arm von der Schulter abwärts taub. Ich fiel nach vorne in eine typische Boxerumarmung hinein. Es wurde viel geschrien und gebrüllt, und die Leute schoben und drängten hin und her, um Platz für die Prügelei zu machen oder sich einen Sitz näher am Ring zu suchen. Ich zielte wieder auf das Gesicht meines Gegners, packte aber stattdessen eine Hand voll Haare – und zog kräftig daran. Empörtes Gemurmel erhob sich, selbst von den Mädchen. Meine Kampfkunst fand keine Gnade vor den Augen des Publikums. Dann verschwand plötzlich die Luft aus meiner Lunge. Es tat gar nicht so weh, wie ich gedacht hatte. Drake Mackenzie hatte keinen Platz gehabt, um einen K.o.-Schlag anzubringen, aber ich taumelte trotzdem rückwärts gegen den Metallrand des nächsten Sitzes. Ich war ziemlich stolz, dass ich nicht zu Boden fiel – obwohl ich letzten Endes trotzdem dort landete. Ich konnte immer noch nicht richtig atmen und wich zum vorderen Ende des Busses zurück. Dann ließ ich mich mit stummer Würde in eine sitzende Position in den Gang sinken. Drake Mackenzie baute sich drohend über mir auf, den Fuß erhoben, als könnte er sich nicht entscheiden, ob er mich treten oder auf mir herumtrampeln sollte. Mir war es egal, was davon er in die Tat umsetzen würde, denn meine Defensive sah für beide Fälle gleich aus: Ich zog die Knie an, so weit es ging, umklammerte die Beine mit beiden Armen und zog den Kopf ein, wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer verkriecht. Ein halbherziger Stiefeltritt traf die Außenseite meines Oberschenkels, aber es tat nicht wirklich weh. In der warmen, feuchten Dunkelheit meiner Umklammerung spürte ich, dass ich dank meiner Embryonalhaltung keine reizvolle Zielscheibe für physische Gewalt mehr war. Es war ein geplanter, vorsätzlicher Angriff nötig, um mir ernsthaften Schaden zuzufügen, und wenn ein solcher bisher nicht erfolgt war, würde er gar nicht mehr erfolgen.
    Wie sich herausstellte, hatte Drake Mackenzie etwas anderes im Sinne. Er trat einen Schritt zurück, schob das Oberlicht des nächsten Fensters auf und warf Mr. Petersons Buch aus dem fahrenden Bus. Dann spuckte er mich an und kehrte auf seinen Platz zurück.
    Keiner machte Anstalten, den Bus anzuhalten oder mir zu helfen. Ich zog meine Tasche an mich, und dann bewegte ich mich halb krabbelnd, halb fallend die Stufen hinunter zum Unterdeck. Mein Körper war geschlagen, aber mein Geist war überraschend klar. Erst Stunden später sollte der unausweichliche Anfall kommen, in der Geborgenheit meines Schlafzimmers, mit dem Eisen-Nickel-Meteoriten an meine Brust gedrückt.
    »Sie müssen anhalten!«, sagte ich zu dem Busfahrer.
    Noch niemals zuvor hatte ich den Fahrer angesprochen; der machte nicht den Anschein, als ob er einen solchen Versuch zu schätzen wüsste. Selbst unter normalen, ruhigen Umständen strahlte der Busfahrer eine nur mühsam unterdrückte Wut aus. Sein üblicher Gesichtsausdruck sprach für eine leidenschaftliche Sehnsucht nach Pensionierung oder dem Tod – je nachdem, was früher vor der Tür stehen würde. Er hatte, was meine Mutter eine rabenschwarze Aura nennen würde, und in diesem einen Fall hätte ihr wohl niemand widersprochen.
    Auf mein Ansinnen hin grunzte der Busfahrer etwas Unverständliches.
    »Entschuldigung«, unterbrach ich ihn, »aber Sie sprechen zu undeutlich,

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