Das Unsterblichkeitsprogramm
drohenden Blick durchs Dachfenster nach oben. Wir fädelten uns mit einem leichten Ruck in den Fluss des Bodenverkehrs ein und bogen unmittelbar darauf nach links in eine schmalere Straße ab. Erst jetzt begann ich mich für das zu interessieren, was sich draußen befand.
Das Leben auf den Straßen war fast überall gleich. Auf jeder Welt, die ich gesehen hatte, traten dieselben Muster hervor, es wurde geprotzt und gepriesen, verkauft und gekauft, als würde ständig die destillierte Essenz des menschlichen Verhaltens hervorquellen, egal, welche ratternde politische Maschinerie dem Ganzen von oben übergestülpt worden war. Bay City auf der Erde, der ältesten der zivilisierten Welten, stellte in dieser Hinsicht keine Ausnahme dar. Von den massiven, substanzlosen Holofassaden an den antiken Gebäuden bis zu den Straßenhändlern mit den Katalogprojektoren, die sie wie unförmige mechanische Falken oder Tumore auf den Schultern herumtrugen – jeder hatte etwas feilzubieten. Wagen hielten am Bordstein, und üppige Körper beugten sich hinunter, um auf die Weise zu verhandeln, wie sie es vermutlich schon so lange taten, wie es Fahrzeuge gab, zu denen sie sich hinunterbeugen konnten. Dampf- und Rauchfetzen stiegen von Imbisswagen auf. Unser Fahrzeug war gegen Schall und Sendungen geschützt, aber man spürte die Geräusche durch das Glas, den Singsang der Eckenverkäufer und die modulierte Musik, die unterschwellige Kundenwünsche weckte.
Im Envoy Corps wurde die menschliche Natur auf den Kopf gestellt. Zuerst erkannt man das, was gleich war, die Grundresonanzen, die einem eine erste Orientierung gaben, dann ermittelte man aus den Details das, was sich unterschied.
Die ethnische Mischung auf Harlans Welt war in erster Linie slawisch und japanisch, obwohl man gegen Aufpreis jede sonstige Variante aus dem Tank bekommen konnte. Hier hatte jedes Gesicht eine andere Form und Färbung – ich sah groß gewachsene knochige Afrikaner, Mongolen, bleichhäutige Nordeuropäer und sogar ein Mädchen, das wie Virginia Vidaura aussah, doch ich verlor sie aus den Augen in der Menge. Sie glitten vorbei wie die Eingeborenen an einem Flussufer.
Schwerfällig.
Dieser Eindruck schlängelte sich durch meine Gedanken wie das Mädchen durch die Menge. Ich runzelte die Stirn und versuchte ihn festzuhalten.
Auf Harlans Welt hatte das Leben auf der Straße eine zurückhaltende Eleganz, eine Sparsamkeit der Bewegungen und Gesten, die fast den Anschein einer Choreografie erweckte, wenn man es nicht gewohnt war. Ich war damit aufgewachsen, also bemerkte ich diese Eigenschaft erst dann, wenn sie nicht mehr vorhanden war.
Hier sah ich nichts dergleichen. Das Auf und Ab des menschlichen Handels außerhalb der Wagenfenster ähnelte dem schwappenden Wasser zwischen Booten. Die Leute schoben und drängelten sich voran, wichen abrupt zurück, um dichteren Ballungen in der Menge auszuweichen, die sie offenbar erst bemerkten, wenn es schon zu spät für ein elegantes Manöver war. Spannungen traten hervor, Hälse wurden gereckt, Körper spielten mit ihren Muskeln. Zweimal sah ich die unbeholfene Anbahnung eines Streits und wurde fortgetragen, bevor es zu Schlägen kam. Es war, als wäre die gesamte Szenerie mit einem aufputschenden Pheromon besprüht worden.
»Curtis.« Ich betrachtete sein leidenschaftsloses Profil. »Könnten Sie für einen Moment die Abschirmung der Werbesendungen abstellen?«
Er warf mir einen Seitenblick zu und verzog leicht die Lippen. »Klar.«
Ich lehnte mich im Sitz zurück und schaute wieder auf die Straße hinaus. »Ich bin kein Tourist, Curtis. Damit verdiene ich meinen Lebensunterhalt.«
Die Kataloge der Straßenverkäufer drangen wie ein Schwarm fiebriger Halluzinationen in das Innere des Wagens. Sie waren leicht verschwommen, weil sie nicht gezielt gesendet wurden und sich gegenseitig überlagerten, während wir dahinglitten. Trotzdem wurde man nach harlanitischen Maßstäben damit zugeschüttet. Die Zuhälter waren am aufdringlichsten, mit einer Abfolge von oralen und analen Sexualpraktiken, digital retuschiert, um Brüsten und Muskulatur einen Airbrush-Schimmer zu verleihen. Der Name jeder Hure wurde von einer kehligen Stimme geflüstert, während das Gesicht großflächig darüber gelegt war. Kokette junge Mädchen, düstere Dominas, stopplige Hengste und ein paar Gestalten, deren Herkunft mir völlig fremd war. Dazwischen woben sich die etwas subtileren Chemikalienlisten und surrealen Szenen der Drogen- und
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