Das Urteil
jemandem, dem es nicht scheißegal ist?« Und dann hatte der Inspector aufgelegt.
Hardy hielt den Hörer so lange in der Hand, bis er wieder zu tuten begann. Na gut, dachte er, den Wink habe ich mitbekommen.
Er hatte ein echtes Problem - niemand war bereit, mit ihm zu reden. Terrell war nur der erste Hinweis, doch als er sich daranmachte, die Akten mit den Vernehmungsprotokollen und den Kopien der Polizeiberichte auf seinem Schreibtisch durchzublättern, wurde ihm bewußt, daß ihm die Leute ausgingen, die gewilllt gewesen wären, ihm die Tageszeit zu sagen, von ei nem aussagekräftigen Gespräch ganz zu schweigen.
Tom und Phil DiStephano - vergiß es. Nancy - zu verängstigt, und das zu Recht. Die Familie Roman - er könnte Cecil auf den Zahn fühlen, doch selbst wenn er einen begründeten Verdacht gehabt hätte, was nicht der Fall war, brächte das nicht viel ein. Dann war da noch Sam, der Schwule in der Anmeldung der Mission Hills Clinic, aber das konnte schnell peinlich werden und war außerdem fernab von jedem auch nur annähernd denkbaren Tatverdächtigen.
Hardy ging wieder nach unten, sah sich noch ein paar Takte der World Series an, trank eine Tasse Kaffee und plauderte mit Phyllis. David Freeman war heute morgen in seinem Büro, aber er sprach mit einem Mandanten, und Phyllis wollte ihn nicht stören - nicht daß Hardy sie darum gebeten hätte. Es sah nach einem weiteren Mordfall aus. Übrigens hatte Freeman zu Hause gearbeitet - Phyllis hatte heute morgen die ersten Seiten des Berufungsantrags im Fall Witt getippt.
Die ewige Tretmühle der Justiz deprimierte ihn, und Hardy ging wieder nach oben. Er spielte Darts - 20,19,18. Die Zahlen wurden abgehakt, die Uhr tickte.
Der einzige, der übrigblieb, war Ali Singh, der Bürochef der BMG. Hardy überlegte, daß er ihn zum Mittagessen einladen und herausfinden könnte, ob sich nicht noch eine andere Route auftat, die er bezüglich der Arbeit Larry Witts noch nicht erforscht hatte. Vielleicht hatte er einem Ärztekollegen die Patienten geklaut? Singhs Versicherung, daß Larry Witt bei seinen Arbeitskollegen beliebt war, schien bei näherem Hinsehen einfach undenkbar. Der Mann hatte mit jedem Schwierigkeiten gehabt, und jede Arbeitsumgebung führte zu Reibereien. Es war zumindest einen Versuch wert. Um nicht zu erwähnen, daß es der einzige Versuch war, der Hardy überhaupt einfiel.
Nur daß Singh dort nicht mehr beschäftigt war.
»Haben Sie seine neue Nummer?«
Die effiziente Stimme am anderen Ende der Leitung sagte, daß sie derlei Informationen nicht weitergeben dürfe, worauf Hardy irgendwie schon vorbereitet gewesen war.
»Es ist äußerst wichtig.«
Der Stimme tat es leid. Sie konnte leider nichts machen. Hardys Karma war auf negativem Kurs.
»Na schön, wie wäre es denn hiermit? Wie wäre es, wenn ich Ihnen meinen Namen und die Telefonnummer gebe, und Sie rufen Mr. Singh an und fragen ihn, ob er mich bitte zurückrufen könnte?«
»Ich könnte das möglicherweise tun«, sagte die Stimme. »Ich frage mal nach.«
Der Staatsanwalt (und Kandidat für das Amt des Generalstaatsanwalts) Dean Powell und sein Vorgesetzter Chris Locke aßen zusammen zweiundfünfzig Stockwerke oberhalb von San Francisco im Carnelian Room ganz oben im Gebäude der Bank of America an einem Ecktisch zu Mittag. Powell hatte um diese Verabredung gebeten. Als Tagesgericht gab es ein Risotto mit Felsengarnelen aus Santa Barbara, und der Staatsanwalt und sein Chef, der Bezirksstaatsanwalt, bestellten es beide. Powell hatte beschlossen, daß er dazu eine halbe Flasche Meursault trinken wollte. Locke wollte eigentlich nichts trinken, bis der Wein eingegossen war, erst dann ließ er sich zu einem Glas überreden. Sie stießen nicht an.
Es waren noch nicht einmal mehr zwei Wochen bis zu den bevorstehenden Wahlen, und Powell führte vor den übrigen Bewerbern der letzten Umfrage zufolge mit vier Prozent. Nachdem sie ein paar Minuten darüber geplaudert hatten, kam Powell zur Sache und weihte Locke in Hardys Besuch in seinem Büro ein, den Besuch, über den zu schweigen er versprochen hatte.
Als er geendet hatte, sagte Locke: »Der arbeitet doch erst ganz kurz bei Freeman und kommt mit so was? Natürlich ist andererseits denkbar, daß er es ganz allein durchzieht.«
Powell nickte. »Die ganze Sache ist ziemlich durchsichtig.« Er spießte eine Garnele auf. »Er sagt zu mir, daß seine Mandantin ihm nicht erlaubt, das aufs Tapet zu bringen, und daß es dennoch die Wahrheit ist und
Weitere Kostenlose Bücher