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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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diesen verqueren Gedanken schnell wieder loswerden. »Nein, bei Larry war kein Profi am Werk. Es gab keinen Profikiller. Jennifer hat Larry umgelegt.«
    Hardy wollte nicht unbedingt lächeln, wenn er jemandem den Köder vor die Nase hielt. Gib dem Mann eine Theorie an die Hand, hatte Glitsky gesagt. »Trotzdem müssen Sie zugeben, daß es interessant ist.«
    Terrell versuchte das Ganze mit einem Achselzucken abzutun. »Klar, aber wie ich schon sagte, solche Scheiße passiert am laufenden Band.«
    »Sie haben recht.« Hardy stieß die Tür auf, machte sich auf die Kälte gefaßt. »Sie haben recht, es passiert andauernd.«
    Ein siebenjähriger Matt Witt lächelte in Farbe und gestochen scharf. Wer auch immer die Fotos in der Schule gemacht hatte, hatte gute Arbeit geleistet und die Persönlichkeit hinter dem verschmitzten Gesichtsausdruck eingefangen. Welche Zwänge auch immer Matt in seinem sterilen Elternhaus hatte aushalten müssen, sie hatten ihn offenbar nicht untergekriegt. Es stand ein echtes Lächeln in seinen Augen, ein kindlicher Ausdruck von Selbstvertrauen - vielleicht hatte er eben zu dem Fotografen etwa s Witziges gesagt und war stolz auf sich. Aber es lag nichts Altkluges in dem Blick - er war freundlich, offen. Ein netter kleiner Junge, der gefallen wollte.
    David Freeman stand in seiner Wohnung unter der Dusche, und Hardy hatte sich tief in einen alten roten Ledersessel ne ben einem der Wohnzimmerfenster verkrochen, versuchte sich vergebens von Matt loszureißen. Es gab noch eine Menge anderer Fotos in dem Hefter, den er auf dem Schoß hielt, und er hatte sich bereits eine ganze Reihe von Bildern angesehen, als er auf den Jungen gestoßen war.
    Er hatte schwarzes Haar, adrett gekämmt und gescheitelt mit Ausnahme eines widerspenstigen Wirbels. Er hatte ein grün-weiß gestreiftes T-Shirt mit weichem Kragen an, der auf der einen Seite hochstand und auf der anderen anlag, genau wie die Ohren eines jungen Hundes. Zwischen den beiden vorderen Schneidezähnen klaffte eine Lücke.
    Sommersprossen auf dem Nasenrücken. Lange Wimpern. Die Ansätze zu einem Grübchen. Die lachenden Augen waren dunkelgrün.
    Hardy lehnte sich zurück und stierte durchs Fenster hinaus in den Nebel, ohne etwas zu sehen. Er wußte nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als er eine Hand auf der Schulter spürte.
    »Es gibt nichts, was wir da machen können.«
    Freeman, der einen zerschlissenen Frotteebademantel an hatte, drückte erneut Hardys Schulter. Er besaß vielleicht doch, was einen bisweilen überraschen mochte, einiges Mitgefühl - der Tonfall ließ darauf schließen -, aber im Grunde war er doch pragmatisch veranlagt. Wenn man nichts bewirken konnte, nicht eingreifen konnte, dann war nach Freemans Definition eben nichts zu machen. Hardy stimmte dem nicht zu - es mochte kein handgreifliches Resultat bringen, aber er war der Ansicht, daß man zumindest trauern konnte .
    Barfuß und unrasiert, das nasse Haar ein einziges grau braunes Kuddelmuddel, so trabte Freeman quer durchs Wohnzimmer hinüber zur Eßnische, wo er auf einem polierten Mahagonitisch seine Arbeitsunterlagen, Handakten, Ord ner und Schachteln voller Diktierkassetten ausgebreitet hatte. Gerade mit dem einen Prozeß beschäftigt zu sein und bereits die Strategie für einen neuen auszuarbeiten, die offenen Fragen um Revisionsverfahren der abgeschlossenen Prozesse zu klären - sollte Hardys Leben zukünftig so aussehen? Er sah es für einen Augenblick aus Frannies Perspektive und fragte sich, ob er einen Fehler beging, wenn er sich mit David und Jennifer einließ.
    Dann sah er sich Matt an. Mein Gott ... wenn Jennifer ihn erschossen hatte, selbst versehentlich, selbst wenn er ihr nur in die Quere gekommen war ...
    Aber wenn dem nun nicht so war, wenn Jennifer die Wahrheit sagte? Dann spazierte da draußen irgendjemand anderer herum. Jemand, der den Tod verdiente und frei herumlief, Jennifer diese Höllenqualen antat und Matt ungerächt ließ.
    Hardy glaubte an das Konzept der Rache - an strenge, planmäßige Rache. Das war der Grund, weshalb er überhaupt zur Polizei und dann zur Staatsanwaltschaft gegangen war. Aber, und daran erkannte er, daß er tatsächlich ein Rechtsanwalt wurde, jetzt glaubte er, daß er - er höchstpersönlich - vor der Rache erst jeden begründeten Zweifel ausräumen mußte.
    Und das war es, was ihn heute antrieb - er wollte nicht seine Seele verkaufen, um das Sprachrohr für irgendeine aufgesetzte Pose der Anklagevertretung oder

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