Das Vampir-Pendel
sich als blasses Etwas vom dunklen Untergrund ab. Er verglich es mit altem Teig, aus dem es geformt worden war. Er sah auch die Augen. Es waren die eines Toten. So starr, völlig leblos. Tot?
Mareks Lippen bewegten sich und er starrte dann in eine krampfhaft lächelnde Pose. Nein, er war nicht auf eine Weise tot, wie er es hätte sein müssen.
Der Pfähler kümmerte sich auch weiterhin um den Kopf. Er faßte ihn an und drehte ihn zur Seite, daß die linke Halsseite freilag. Sie war wichtig, weil sich dort die Stelle befand, die für Vampire sehr interessant war.
Erkennen konnte er nichts, weil es eben zu dunkel war. Aber er tastete über die Haut hinweg, und die beiden Fingerkuppen näherten sich einer bestimmten Stelle.
Ja, das waren sie.
Die beiden Male, die Wunden, noch frisch, aber nicht sehr groß. Von der Haut hoben sich die beiden Bißstellen der Zahnspitzen deutlich ab.
Milan war gebissen worden.
Er war also blutleer, doch Marek wollte auch den letzten Beweis haben.
Aus der Tasche holte er ein kleines Messer hervor und klappte es auf.
Die Klinge schimmerte in einem dunklen Graublau, als er sie in die unmittelbare Nähe des Halses brachte.
Ob Milan wirklich blutleer war, würde ein bestimmter Test ergeben. In der tiefen Stille des Waldes hörte Marek nur sein eigenes Keuchen, aber er sah auch die beiden roten Augen der Vampirfratze auf dem Pendel leuchten.
Es irrte sich nicht, es konnte sich nicht irren. Trotzdem versuchte es Marek. Er mußte schließlich vor seinem eigenen Gewissen bestehen können.
Der Schnitt!
Er führte ihn und übte zugleich einen leichten Druck aus. Das Fleisch an der Wange öffnete sich. In diesem Augenblick schon hätte das Blut sprudeln müssen, aber kein dunkler Tropfen benetzte die Finger des Pfählers. Milan war blutleer. Milan war ausgesaugt worden, Milan war ein Vampir, und Milan würden auch Vampirzähne wachsen.
Marek richtete sich auf.
Er stöhnte, weil er wußte, was er jetzt tun mußte. Doch er tat es nicht gern. Man nannte ihn den Pfähler. Er wurde diesem Namen gerecht, doch er gab zu, daß es ihm niemals Spaß gemacht hatte, diese Personen endgültig zu vernichten.
Seine rechte Hand holte den Pfahl hervor, den er unter der Jacke verborgen hielt. Für einen Moment schaute er ihn an, als wollte er ihm sagen: Bitte, tu deine Pflicht!
Dann setzte er die Spitze auf die Brust, in Höhe des Herzens.
Es war nur ein kurzes Abmessen. Marek kannte das Ritual. Er würde den Pfahl wieder anheben, sein Ziel erneut anvisieren, um es dann wuchtig zu treffen.
»Es tut mir leid«, flüsterte er.
Seine Hand hob sich.
In diesem Moment regte sich Milan. Er öffnete den Mund, als wollte er seine spitzen Zähne präsentieren, die aber noch nicht gewachsen waren, zumindest konnte Marek keine erkennen. Aber er sah sehr deutlich, daß er angeschaut wurde, und es war der Ausdruck in den Augen, der ihn zunächst zögern ließ.
Was war es für ein Blick?
War es der Blick eines Menschen oder der eines grauenerregenden Geschöpfs der Nacht?
Er durfte nicht darüber nachdenken, und Marek mußte sich auch von der Vorstellung befreien, einen Menschen vor sich liegen zu haben. Er war nur mehr eine Hülle, ein Wesen aus dem Schattenreich, und als Marek den Ruck spürte, war das für ihn wie ein Startzeichen.
Er rammte den Pfahl mit viel Kraft in die Tiefe.
Er schaute nicht hin, weil er nicht sehen wollte, wie sein Pfahl die Brust zerstörte. Es reichten ihm die dabei entstehenden Geräusche, die so schrecklich klangen. Er selbst hielt seinen Blick auf das Gesicht der Gestalt gerichtet.
Es verzerrte sich. Der Mund klaffte noch weiter auf. Dann wurde er breit.
Aus dem Rachen drang ein Zischen, als hätte jemand eine Gasleitung aufgedreht.
Milan wühlte sich hoch. Flatterhaft bewegte er seine Arme, aber es gab nichts, wo er sich abstützen konnte. Die Hände fanden zwar Halt, aber in den Ellenbogen knickte er ein.
Und dann lag er still.
Frantisek Marek spürte, wie er schwitzte. Er roch seinen eigenen Schweiß und fand den Geruch widerlich. Der Pfahl steckte nicht mehr im Körper. Marek hielt ihn halb erhoben, die Spitze wies noch immer schräg nach unten. Er wußte auch, daß er kein zweites Mal zuzustoßen brauchte. Dieses Wesen existierte bereits nicht mehr. Es würde sich nicht erheben, um auf Blutsuche zu gehen. Daß dies nicht eintrat, dafür hatte Marek gesorgt und der Menschheit einen Dienst erwiesen.
So mußte er es sehen. Und nur so konnte er mit seiner Berufung fertig
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