Das verborgene Netz
Anrufbeantworter gesprochen«, sagte Mike. »Aber es war Samstag. Der Anrufbeantworter wurde erst am Montag abgehört.«
Sie schüttelte den Kopf. Mikes Angriff auf Steinhoff hatte die Ermittlungen der Kripo ins Rollen gebracht – Profis, die über Zahlen und dumme Zufälle stolperten.
Und über Gefühle. Eine hübsche, labile Frau, ein heimlicher Beobachter, der die Distanz verloren und überreagiert hatte.
»Ein Anrufbeantworter in einem Büro?«
»Mit Blick auf einen Fluss.«
»Die Spree? Die Dreisam?«
Mike antwortete nicht.
Das Licht erlosch, Louise klatschte die Hand auf den runden Schalter. »Also, Sie verlassen das Hotel, einer Ihrer Leute versteckt Steinhoff in der Toilette. Am Abend trifft sich Esther mit Schulz. Haben Sie das Gespräch abgehört?«
»Ja.«
Sie streckte sich, rieb sich den Nacken. »Jetzt wissen Sie, dass der Verfassungsschutz einen Mann bei GoSolar hat. Dieselbe Strategie, nur nicht ganz so effizient wie bei Ihnen. Dann tauche ich bei Esther in Littenweiler auf. Lassen Sie mich raten: Panik bricht aus.«
Mike ging nicht darauf ein. Sie hätten beschlossen, Esther fallenzulassen und abzuwarten, sagte er. Schulz und Esther hätten weiterhin observiert werden müssen, aber solange keine akute Gefahr bestanden habe, habe es keinen Handlungsbedarf gegeben. Die Identitäten der bei GoSolar eingeschleusten Leute seien falsch, ihre Legenden hätten einer oberflächlichen Überprüfung aber standgehalten.
Doch dann sei »das mit Esther« geschehen.
»Ihr Suizidversuch?«
»Ja. Wir mussten die Überwachung beenden und die Geräte aus ihrem Haus holen, bevor … «
»Moment. Sie haben es über die Kameras mitbekommen?«
»Ja.«
» Wo waren Sie?«
» In der Nähe.«
» Wo genau?«
Mike schüttelte den Kopf.
»Na, egal. Jedenfalls haben Sie ihr das Leben gerettet, und irgendjemand sollte Ihnen dafür danken. Esther wird dazu keine Gelegenheit haben, also tue ich’s.« Sie verzog den Mund. Ein kleiner sentimentaler Anflug am Rande der Erschöpfung.
Mike spreizte die behandschuhten Hände, als wollte er sagen: Was spielt das noch für eine Rolle?
»Sie wollten also die Geräte holen, konnten aber nicht ins Haus, weil mein Kollege da war.«
»Ja.« Von diesem Moment an habe Chaos geherrscht, alles sei eskaliert. Die Konfrontation mit Louise und deren Einsatzkräften vor Esthers Haus, die Flucht durch den Wald mit zwei Geiseln, GoSolar im Fokus der Kripoermittlungen, der Verfassungsschutz aufgeschreckt, die Maulwürfe aufgeflogen …
Und dann der Mord an Schulz.
»Jetzt sind wir so weit, Mike«, sagte Louise. »Die Maske.«
Kein Schutzengel, wie man ihn sich vorstellte, eher ein gehetztes Nachtgespenst. Eher Ende als Anfang dreißig, seit einer Woche nicht rasiert, im schwarzen Haar leuchteten hellgraue Stellen, das Gesicht war hager. Ein Bruder in der
Schlaflosigkeit – gerötete, lichtempfindliche Augen, bläuliche Ringe darunter, der Teint grau.
Das Licht erlosch, das Licht ging an.
» Was ist mit Schulz passiert?«
Mikes Augen lagen geblendet auf ihr. »Ich weiß es nicht.«
»Keine gute Position für einen Deal. Wer hat ihn getötet?«
»Ich kann nur raten.«
»Dann raten Sie, verdammt.«
»Steinhoff war in Panik. Er hat Schulz irgendwo abgefangen und nach Ebnet gebracht. Vielleicht wollte er rausfinden, was Schulz wusste. Oder er wollte verhindern, dass er seine Kollegen informiert. Schulz hat nicht geredet, also hat er ihn getötet.«
»Ohne sich mit Ihnen oder Ihrem Partner abzusprechen?«
Mike nickte.
»Und Sie haben in der Zwischenzeit nicht mit ihm telefoniert?«
»Ich erreiche ihn nicht.«
»Eine Panne nach der anderen … Die Täter waren zu zweit. Waren Sie der zweite Mann?«
»Nein.«
»Wer dann?«
»Ich weiß es nicht. Keiner von meinen Leuten.«
»Sie meinen die Maulwürfe bei GoSolar?«
»Ich meine die beiden, mit denen Sie mich vor Esthers Haus gesehen haben. Von den Maulwürfen kommt keiner in Frage. Das sind Physiker, Ingenieure, Chemiker, keine Mörder.«
»Es sind Kriminelle. Sie benutzen falsche Identitäten,
stehlen Daten, ruinieren ein Unternehmen, die Angestellten. Vielleicht töten sie auch.«
»Nein«, sagte Mike.
Louise lehnte den Kopf an das Türblatt, musterte Mike, der ihren Blick erwiderte. Sie wartete auf ein Gefühl, die Stimme der Intuition, nichts kam. Sie hatte keine Ahnung, ob er die Wahrheit sagte oder log. »Warum sind Sie hier? Warum reden Sie mit mir?«
»Ich will die Branche wechseln.«
»In welcher Branche
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