Das Vermächtnis von Thrandor - Das Schwert aus dem Feuer
auf diese Weise veränderte, aber auf einmal klangen ihm Perdimonns Worte im Ohr.
»Calvyn, du hast gerade einmal eine Ahnung von dem bekommen, was Magie vermag … du wirst sicher bald eigene Zaubersprüche ersinnen, von denen ich nicht einmal träumen kann. Denn dein Geist arbeitet anders als meiner und wird die Runen auf eine Weise zusammenstellen, die allein deinem Bewusstsein entspringt … das ist mein Zauberbuch … irgendwann wirst du dein eigenes Zauberbuch schreiben, und ich möchte dich ermuntern, eher früher als später damit zu beginnen.«
Bestärkt durch die Erinnerung an Perdimonn begann Calvyn, Runen in den sandigen Boden zu schreiben. Immer wieder veränderte er die seltsamen Symbole, bis er zufrieden feststellte, dass der Spruch die gewünschte Absicht widerspiegelte. Calvyn prägte ihn sich sorgfältig ein und sah die Runen schließlich in einer fließenden, ununterbrochenen Abfolge vor seinem inneren Auge. Er war bereit.
Calvyn hielt die Hand ausgestreckt, und er sah alles genau vor sich: das flackernde Licht der Fackel, das unebene Mauerwerk der niedrigen Brunneneinfassung, die Waschräume, die Unterkünfte und schließlich die Zinnenmauer, deren Umrisse sich gegen den Nachthimmel abhoben. Als er sicher war, dass sich jede noch so kleine Einzelheit in seinen Geist gebrannt hatte, schloss Calvyn die Augen und begann den Zauberspruch.
Die Kombination der Runen war recht schwierig zu artikulieren, aber die Silben gingen ihm mühelos über die Lippen. Er sprach die Lautkette im Flüsterton. Calvyn stellte sich vor, wie jede einzelne Rune in seine Hand floss und sich zu einer verschlungenen Figur zusammensetzte, aus der sich langsam der Salbentiegel herausbildete. Der Zauberspruch fühlte sich »richtig« an. Diese Gewissheit hatte er nicht verspürt, als er die von Perdimonn erlernten Zaubersprüche aufgesagt hatte. Doch der junge Magier ließ nicht zu, dass seine Konzentration durch derartige Gedanken gestört wurde.
Als Calvyn die letzte Silbe gesprochen hatte, vereinigten sich die Runen zu einem Bild des ersehnten Salbentiegels. Als die Vorstellung Gestalt annahm, gab es ein Geräusch, als würde der Korken aus einer Weinflasche gezogen. Calvyn spürte das Gewicht eines Gegenstands in seiner Hand.
Einen Moment lang wagte Calvyn kaum, die Augen zu öffnen. Doch dann zog ihn seine prekäre Lage in die Wirklichkeit zurück und er starrte mit pochendem Herzen auf Perdimonns Salbentiegel auf seiner ausgestreckten Hand. Er schloss die Finger um das Gefäß und drückte es an die Brust, als hätte er Angst, es würde wegfliegen.
Nachdem er sich der Echtheit des Tiegels versichert hatte, rappelte sich Calvyn hoch und steckte Salbe und Zauberbuch unter seinen Kittel. Er schlenderte betont gelassen am Brunnen vorbei und am Exerzierplatz entlang zum Eingang der Unterkünfte. Er war fast dort angelangt, als eine Stimme über den Platz dröhnte.
»He, du! Rekrut!«
Calvyn blieb abrupt stehen. Sein Herz raste.
»Ja, du. Was machst du da?«
»Ich war kurz austreten«, antwortete er und blickte zu
der Gestalt hinüber, die vor den Unterkünften der Korporale stand.
»Das ist noch lange keine Entschuldigung, um hier herumzuschlurfen wie ein Bettler. Marschier gefälligst! Du bist jetzt beim Militär!«
Erleichtert nahm Calvyn Haltung an und marschierte stramm bis zum Eingang der Schlafräume. Sobald er die Tür hinter sich geschlossen hatte, stieß Calvyn einen glücklichen Seufzer aus.
»Und wo hast du dich herumgetrieben, während wir hier geschuftet haben für die Stubenkontrolle morgen früh?«, fragte Tyrrak gehässig.
»Ich hab meinen Hals riskiert, um etwas zu besorgen, das eure Blasen heilt«, erwiderte Calvyn. Seine patzige Antwort nahm es sofort mit Tyrraks anklagendem Ton auf. »Aber wenn du kein Interesse daran hast …«
Calvyn zog den Tiegel aus seinem Kittel, fuchtelte damit unter Tyrraks Nase herum und lief durch den Raum zu seinem Bett.
»Entschuldige, Calvyn. Ich hab gedacht …«
»Du hast gedacht, ich hätte mich davongestohlen, damit ich mich hier nicht für Derras Appell abrackern muss. Das hab ich aber nicht, klar? Ich erledige liebend gerne meinen Teil, Tyrrak, aber vorher werde ich jedem, der es wünscht, eine Heilsalbe für seine Blasen geben. Hast du damit ein Problem?«
»Nein, ich …«
»Gut. Wenn du etwas hiervon haben möchtest, dann schlage ich vor, du hältst an der Tür Wache, während ich mich um die anderen kümmere. Ich hab den Ärger nämlich nicht auf
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