Das Vermächtnis von Thrandor - Der Pfad der Jägerin
Menschenleben einher. Alle, die gemeinen Soldaten wie ihre Vorgesetzten, wussten, dass eine blutige Schlacht vor
ihnen lag. Die Warterei machte die Männer nur noch nervöser.
Lord Shanier konnte in ihnen lesen wie in einem offenen Buch: Die Kommandeure glaubten an ihren Sieg und brannten nur so darauf, ihre Männer in die Schlacht zu schicken. Doch diesen Gefallen wollte ihnen Shanier nicht machen. Da ein Kampf seine Streitkraft erheblich schwächen würde, wollte er den Sieg mit Scharfsinn und Zauberei davontragen.
»Kommandeur Chorain.«
»Ja, Mylord?«
»Bring mir die Frau, Derra, in mein Zelt. Ich habe einen Plan, wie wir die Burg erobern können, ohne auch nur einen Mann zu verlieren.«
Aus Chorains Miene sprach Unglauben.
»Sofort, Mylord«, beeilte er sich dennoch zu sagen, machte auf dem Absatz kehrt und eilte davon.
Shanier zog sich in sein Zelt zurück und wartete.
Wenige Minuten später brachten Kommandeur Chorain und sechs Soldaten Derra zu ihm.
»Du kannst jetzt gehen, Kommandeur. Ich komme schon zurecht.«
»Sehr wohl, Mylord«, sagte Chorain, der seine Zweifel nicht verbergen konnte. »Ich lasse die Männer draußen warten.«
»Gut, Kommandeur. Und sag den anderen Befehlshabern, dass ich ihnen in Kürze meine Pläne darlegen werde.«
Chorain verließ das Zelt und stellte zusätzlich zu den diensthabenden Wachleuten Soldaten vor dem Zelteingang ab. Die anderen Kommandeure fragten ihn neugierig nach Lord Shaniers Plänen. Da er nicht mehr wusste als sie, schossen bald allerlei Vermutungen ins Kraut.
»Die Burg einnehmen, ohne einen Mann zu verlieren, hat er gesagt«, meinte ein Kommandeur nachdenklich.
»Wie, in Shands Namen, will er das anstellen?«
»Es heißt, er ist ein mächtiger Zauberer«, sagte ein anderer.
»Das mag ja sein, aber mit zwei Zauberlords hätten wir bestimmt bessere Chancen als mit nur einem«, erklärte ein Dritter. »Dass Lord Cillverne ein Verräter gewesen sein soll, klingt für mich reichlich an den Haaren herbeigezogen.«
»Der Kaiser selbst hat Lord Shanier durch Lord Vallaine ernennen lassen. Wenn Lord Shanier Cillverne des Verrats bezichtigt, dann war es so«, sagte Chorain überzeugt.
»Was hat er denn dann mit dieser feindlichen Kämpferin vor?«
»Wer weiß? Wir werden es bald erfahren, er hat eine Besprechung angesetzt«, versuchte Chorain, die Gemüter zu beruhigen.
»Pah! Besprechung! Audienz wäre wohl eine passendere Bezeichnung. Diese Zauberer sind doch alle gleich. Sie haben keinerlei militärische Erfahrung und trotzdem sollen wir ihren Befehlen wie die Schafe folgen. Das ist doch Wahnsinn! Wofür haben wir uns jahrelang mit Strategie und Taktik befasst, wenn wir uns dann auf jemanden verlassen müssen, der keine militärische Ausbildung besitzt? Dieser Zauberer mag ja mächtig sein, aber vom Kämpfen hat er doch keinen blassen Schimmer. Beim Zahne Shands, der ist ja so jung, dass er noch ins Bett macht.«
Mehrere der anderen Kommandeure murmelten zustimmend, doch alle waren sich bewusst, dass keiner von ihnen es wagen würde, Lord Shaniers Entscheidungen offen infrage zu stellen. Sie waren ja nicht lebensmüde.
Kurze Zeit später wurden sie in Shaniers Zelt beordert. Der Lord erwartete sie bereits. Er saß auf einem der Akarholzstühle, den rechten Knöchel über das linke Knie gelegt und das Schwert auf seinem Schoß.
Die Kommandeure setzten sich im Halbkreis um ihn und warteten, während Shanier abwesend das Schwert hin und her drehte. Shanier sah jünger aus denn je, denn er hatte seinen langen schwarzen Umhang mit der großen Kapuze gegen Hosen, Stiefel und ein weites Hemd getauscht, alles in Schwarz. Das blonde Haar und die durchdringenden blauen Augen waren für einen Shandeser ungewöhnlich, aber als Zauberer war er ja von vornherein schon anders als die anderen.
»Meine Herren«, begann Shanier. »wir werden heute nicht kämpfen. Ein Blutvergießen ist nicht nötig.«
Shanier schwieg einen Moment lang.
»Wollt Ihr aufgeben, Mylord?«
Shanier blickte auf und lächelte. »Nein, meine Herren. Sie werden zu uns überlaufen.«
Es folgte eine verblüffte Pause.
»Ich habe vor, in den nächsten Wochen ein Kunststück zu vollbringen, das in jüngerer Geschichte seinesgleichen sucht. Ich werde mehrere Tausend feindliche Soldaten dazu bringen, uns beim Angriff auf ein Ziel unserer Wahl zu unterstützen. Dazu bin ich aber auf eure Hilfe und euer Vertrauen angewiesen. Deshalb wäre ein kleiner Beweis meiner Kampfkunst wohl
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