Das Vermächtnis von Thrandor - Die silberne Klinge
sich hin. Sie fror etwas in der frostigen Morgenluft und stampfte mit den Füßen auf, um ihren trägen Kreislauf in Gang zu bringen. »Warum bin ich noch hier? Ich hätte schon vor einer Woche aufgeben sollen. Dann hätte ich auf dem Rückweg nach Thrandor wenigstens noch ein paarmal irgendwo übernachten können. Ich pfeif auf dich und deine Traumrufe, Perdimonn. Wenn du so dringend Hilfe brauchst, warum schickst du mir keine eindeutigere Botschaft?«
Jenna grummelte weiter vor sich hin, doch währenddessen suchten ihre großen braunen Augen immer noch die Umgebung ab und hielten nach allem Ausschau, was einen Hinweis auf den mysteriösen Rat der Magier geben könnte.
Die Stadt war nicht besonders groß, und Jenna war sicher, dass sie inzwischen jede Straße mindestens ein Dutzend Mal durchkämmt hatte. Vielleicht kam ihr alles schon so bekannt vor, dass sie das Offensichtliche übersah. Immer wenn sie so früh am Morgen mit der Suche begann, traf sie auf Stalljungen, die Pferde bewegten. Jenna grüßte inzwischen einige der Jungen und bei einer dieser Begegnungen kam ihr endlich der Zufall zu Hilfe.
Der junge Kerl, der zwei Pferde in entgegengesetzter Richtung die Straße entlangführte, hatte ihren fröhlichen Gruß erwidert und ihr freundlich zugelächelt. Erst, als der Junge schon an ihr vorbei war, fiel Jenna plötzlich auf, dass sie eines der Pferde kannte. Es war Perdimonns alte Stute Sachte.
Bevor Jenna sich recht besann, rief sie überrascht Sachtes Namen und das Pferd wieherte leise zur Antwort.
Der Junge blieb stehen und drehte sich zu ihr um. »Was war das?«, fragte er verwundert, und Jenna kam heran und strich der alten Stute über den Hals. »Habt Ihr dieses Pferd
›Sachte‹ genannt oder hat eins der Tiere nach Euch getreten, als wir vorbeigingen?«
»Du hast richtig gehört«, erklärte Jenna aufgeregt. »Dieses Pferd gehört einem alten Freund von mir. Ich habe schon überall nach ihm gesucht. Kannst du mir vielleicht sagen, wo er ist?«
Der Stallbursche blickte verlegen drein und spielte mit den Zügeln. Er wickelte sie um seine Finger und ließ das aufgerollte Band wieder los.
»Könntet Ihr mir noch etwas über den Besitzer erzählen, was beweist, dass Ihr ihn wirklich kennt? Meine Herren werden mich ordentlich zusammenstauchen, wenn ich Euch zu ihnen führe, ohne das vorher mit ihnen abzusprechen.«
»Na schön. Der Besitzer heißt Perdimonn. Er ist ein alter Mann und er hat eine große kahle Stelle auf dem Kopf. Das Haar ringsherum ist eisengrau und er hat strahlende, gewitzte blaue Augen. Für einen alten Mann ist er erstaunlich beweglich, aber das mag damit zusammenhängen, dass er ein Ma …«
»Das reicht!«, rief der Junge schnell und blickte sich um, ob auch niemand gehört hatte, was Jenna eben sagen wollte. »Ihr kennt den Mann offensichtlich, aber hier in Terilla werdet Ihr ihn nicht finden.«
»Ach ja? Und warum ist dann sein Pferd hier? Perdimonn würde Sachte für keinen Preis der Welt verkaufen, also muss er irgendwo in der Nähe sein.«
»Äh … tut mir leid, aber ich kann Euch dazu wirklich nichts sagen, ohne vorher mit meinen Herren gesprochen zu haben«, entschuldigte sich der arme Bursche. »Sie werden wissen, was mit Euch zu tun ist. Folgt mir einfach zu den Ställen, und ich tue mein Bestes, um einen der Meister dazu zu bringen zu kommen. Dann werdet Ihr Antworten auf Eure Fragen erhalten.«
»Was mit mir zu tun ist?«, dachte Jenna misstrauisch. »Ich
hoffe doch, diese Leute tun gar nichts mit mir, sondern erzählen mir, was ich wissen will, oder lassen mich eben weiterziehen.«
Mit einem Achselzucken nahm Jenna das Angebot des Stallburschen an und begleitete ihn und die Pferde auf ihrem morgendlichen Spaziergang. Jenna hatte nicht die Absicht, den Jungen in Schwierigkeiten zu bringen, und so bestand sie nicht darauf, direkt zu seinen Herren zu gehen. Stattdessen unterhielt sie sich mit ihm über das Leben in Terilla, über Pferde, Bogenschießen und alle möglichen anderen Dinge. Der Junge war klug und wortgewandt und die Zeit verstrich schnell, obwohl Jenna den dringenden Wunsch verspürte, rasch zu den Ställen zu gelangen. Sie war sicher, dass sie dort auf den Rat der Magier stoßen würde.
Als der Junge sie schließlich um ein großes Gebäude in einem Wohnviertel führte, hätte Jenna sich ohrfeigen können. Das Gasthaus, in dem sie untergekommen war, lag nur zwei- bis dreihundert Schritte entfernt. Der Ort, nach dem sie gesucht hatte, war die ganze
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