Das waren schöne Zeiten
meines Landlebens habe ich viele Nachbarn gekannt. Meine Erinnerungen daran wären zweifellos unvollständig, wenn ich Dermot nicht erwähnen würde. Andererseits bin ich mir im klaren darüber, daß viele seiner besten Storys verschwiegen werden müssen, weil einfach niemand sie glauben würde. Dabei fällt mir die Bemerkung eines Kritikers ein, die sich auf meine Bücher bezog: »Eine Sache fand ich aber doch ein bißchen stark übertrieben«, gestand er mir. Ich war inzwischen ziemlich erfahren in diesen Dingen und gab sofort zurück: »Sie meinen die Story von...« Er sah mich verblüfft; an. »Ja. Aber wie kommen Sie gerade darauf?« Ich mußte lachen. »Weil die Wort für Wort wahr ist. Ich hab sie selbst erlebt.« Wie es sich erweist, kann man einige der besten wahren Storys nicht erzählen, weil man sonst immer wieder zu hören bekommt: »Schade, daß sie so übertreibt.« Dermots Eskapaden waren so beschaffen, daß sie unfehlbar eine solche Reaktion hervorriefen.
Er war ein Irländer, von umwerfendem Charme, mit dem besten Herzen der Welt und absolut ohne Grundsätze. Man mußte ihn einfach gern haben — aber man konnte keinesfalls mit seiner Handlungsweise einverstanden sein, und nur ein Verrückter würde ihm getraut haben. Nicht nur, daß er vollkommen skrupellos war, er kannte auch keinerlei Schamgefühl. Die Geschichten seiner Missetaten brachten uns oft genug zum Erröten, ihn aber nie.
Er war ein großer, magerer Kerl, dunkelhäutig, mit wirrem Haarschopf, der ihm wie die Federn eines Truthahns vom Kopf abstand. Sein breites Grinsen entwaffnete jeden, und ich sehe ihn noch vor mir, wie er in Augenblicken der Ratlosigkeit seinen Haarschopf zauste und sich am Hinterkopf kratzte. Er liebte kleine Kinder und Tiere und verlor mit keinem von ihnen jemals die Geduld. Ich hielt immer an dem Glauben fest, daß er trotz allem bestimmte Ehrbegriffe anerkannte; aber erstens bin ich mir dessen doch nicht so sicher, und zweitens, wenn dem so war, dann mußten es absolut individuelle gewesen sein. Wir hofften immer, daß dennoch gewisse Grenzen für ihn existierten, die er nicht überschreiten würde. Aber es ist uns nie gelungen dahinterzukommen, wo diese Grenzen lagen.
Damals waren Autos in unserem Weltwinkel eine große Seltenheit. Dermot kaufte sich einen alten Ford. Ohne jemals am Steuer eines Wagens gesessen zu haben, fuhr er schnurstracks nach Auckland und dort mehrere Male durch die Innenstadt — und überlebte es. Und was noch erstaunlicher ist: ohne jemand totzufahren. Er hatte nicht die geringste Ahnung von Motoren und interessierte sich auch nicht dafür. Ich glaube, er lernte nie, wie man einen Reifen wechselt. So unglaublich es sich anhört, ist es doch wahr, daß er einmal mehr als eine Meile auf der Felge eines der Räder fuhr. Als diese ebenfalls auseinanderfiel, legte er den Rest des Weges auf dem, was von den Speichen übriggeblieben war zurück. Ich sehe Walter heute noch vor mir, wie er bei diesem Anblick nach Luft schnappte. »Dermot, schau dir bloß mal dein Hinterrad an! Wo ist der Reifen? Wo ist die Felge?« Er sah nach, kratzte sich am Hinterkopf, grinste und meinte: »Keine Ahnung. Wie ich losfuhr, war noch alles dran.«
Er lernte nie rückwärtszufahren; andererseits jedoch bewegte er sich mit seiner alten Karre voller Selbstvertrauen auf diesen miserablen, gefährlichen Straßen, ohne sich jemals auch nur um die grundsätzlichen Kenntnisse der Fahrkunst bemüht zu haben. Einmal, als ich mit ihm fuhr, kam uns auf einer ganz besonders engen Straße ein Lastwagen entgegen. Es war zweifellos Dermots Pflicht, Platz zu machen, doch er stieg aus und ging mit seinem einnehmenden Lächeln auf den Lastwagenfahrer zu: »Hör mal, alter Junge, macht es dir was aus, zurückzustoßen? Ich weiß, daß es eigentlich an mir ist, Platz zu machen; aber die Wahrheit ist, ich kann es nicht. Ich bin einmal mit meinem Wagen zurückgestoßen und fuhr dabei mein eigenes Kind tot. Der arme Kleine spielte hinter dem Wagen. Seither kann ich einfach nicht mehr rückwärtsfahren. Du verstehst doch, wie?«
Ich saß wie gelähmt auf meinem Sitz und beobachtete die Wirkung dieser haarsträubenden Lüge. Der Fahrer, welcher verärgert wegen des Aufenthaltes schon angefangen hatte, finster dreinzuschauen, zerschmolz vor Mitgefühl und begann augenblicklich mit dem schwierigen Manöver, sein schweres Fahrzeug zurückzusetzen, bis er eine Stelle erreichte, wo es möglich war, auszuweichen. Ich hoffte nur, daß er nie
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