Das Wiegen der Seele (German Edition)
Öfteren mit einem Polizeibesuch zu rechnen hatten. Er hoffte, dass niemand mit ihm eine krumme Tour abzog und versuchte, sich auf alles vorzubereiten. Er durchforstete den ganzen Pub nach Typen, die er in die Kategorien: Verbrecher, Halsabschneider, Dealer oder Sonstiges einordnen konnte. Doch schienen die Gäste nicht in sein Profil zu passen. Er setzte sich auf den Hocker am Ende des Tresens. Noch während der Barkeeper zapfte, warf er Nettgen einige Blicke zu und grüßte freundlich mit einem Kopfnicken. Kurze Zeit später näherte er sich, säuberte das Stück Theke vor Nettgen, indem er mit einem Küchenhandtuch die Bier-, Cocktail - und Schnapspfützen abwischte und blickte ihn an.
„Guten Abend. Was kann ich ihnen bringen?“ fragte er.
„Sie können mir nichts bringen“, meinte Nettgen und ließ ihn nicht aus den Augen. „Sie können mir aber was geben . “
Für einen Moment stutzte der Barkeeper. Dann drehte er sich um und ergriff einen Briefumschlag, der in einem Gläserregal zwischen zwei Krügen steckte.
„Sind sie Nettgen?“ , fragte er.
„Ja, der bin ich. Kommissar Nettgen . “
Er nahm den Umschlag an sich, öffnete ihn und zog ein gefaltetes Blatt Papier heraus, während der Barkeeper wortlos zurück an seinen Zapfhahn ging. Nettgen faltete das Stück Papier auf und las die in Handschrift verfassten Zeilen:
Fahren S ie weiter bis zum Stadtwald, am Trimmpfad Höhe Frankenstra ß e. Achten S ie stets darauf, ob S ie verfolgt werden. Brechen S ie sonst die Aktion ab. Gehen S ie den Trimmpfad bis zum Holz-Pavillon. Dort warte ich auf S ie.
Nettgen musste schwer schlucken. Er war verärgert und besorgt zugleich. Er fühlte sich wie ein Schuljunge, der an einer Schnitzeljagd teilnahm und einen Hinweis nach dem anderen suchen musste. Er dachte wieder an Crampton.
So langsam kam er sich ziemlich verarscht vor. Entweder man wollte ihn in eine Falle locken, oder El-Dhamosis und er waren in echten Schwierigkeiten.
Ihm war ziemlich mulmig zumute. Mitten in der Nacht quer durch den Stadtwald, und das mit Wächtern oder wem auch immer auf den Fersen?
Widerstrebend verließ er die Bar, stieg in das Taxi und sagte: „Zum Stadtwald in die Frankenstra ß e . “
“Kein Problem”, erwiderte der Fahrer. „Dachte schon, S ie kommen nicht mehr . “
„Nicht denken“, meinte Nettgen in einem freundlichen Ton. „Warten, einfach warten . “
Die Fahrt erschien ihm sehr lange, obwohl es sich um nicht mehr als fünf zehn Minuten handelte. Nettgen kam es vor wie ein e Ewigkeit. Er stellte sich Fragen über Fragen, die er nicht beantworten konnte. Der Taxifahrer laberte während der ganzen Fahrt auf ihn ein. Nichts von dem, was er sagte, drang bis in Nettgens Bewusstsein. Je näher sie dem Park kamen, desto schneller schlug sein Herz. Seine Beine begangen leicht zu zittern. Ihn überkam eine seltsame Mischung aus Übelkeit und Furcht. Es war inzwischen halb zwei Morgens, als sie am Ziel ankamen. Die Nacht war stockdunkel. Die Laternen spendeten nur wenig Licht. Nettgen zahlte den Taxifahrer und stieg aus dem Wagen. Diesmal ließ er den Taxifahrer nicht warten, er hatte das Gefühl, dass das überflüssig sei.
Nettgen bewegte sich langsam vom Parkplatz zum Wald. Der Park erstreckte sich weitläufig und die Wege waren durch Sträucher, Büsche und Baumreihen begrenzt. Auf dem Weg zum Pavillon legte Nettgen immer wieder eine kurze Pause ein. Er drehte sich in alle Richtungen und vergewisserte sich, nicht beobachtet oder verfolgt zu werden. Von weitem erblickte er schwach den Treffpunkt. Er befand sich inmitten einer Wegkreuzung. Er hielt Ausschau nach dem Unbekannten, konnte ihn jedoch nirgends entdecken.
Er wartete, seine Augen schossen in alle Richtungen, nichts. Niemand zu sehen. Zu seinem Schutz hielt er seine Dienstaffe im Holster fest im Griff, um im entscheidenden Moment seine Waffe ziehen zu können. Er erreichte den Treffpunkt. Plötzlich vernahm er ein Rascheln. Nettgen drehte sich in die Richtung, aus der er das Geräusch vernommen hatte und starrte in die Dunkelheit. Eine Person näherte sich. Nettgen konnte nichts erkennen, er sah nur grobe Umrisse. Im Abstand von zwei Metern blieb die Person vor ihm stehen.
„Kommissar Nettgen?“
„Ja“, antwortete Nettgen und löste den Schutzknopf seines Holsters. Er griff nach seiner Waffe. „Ja, der bin ich . “
„Ich entschuldige mich dafür, dass ich I hnen so viele Umstände gemacht habe. Wie gesagt, ich schwebe in Lebensgefahr .
Weitere Kostenlose Bücher