Das Winterhaus
elegant wie immer, in Schwarz und Creme, kam durch den Laden, um sie zu begrüßen. Helen stellte ihr Gussie vor; Maia warf nur einen kurzen Blick auf das Kind, lächelte dünn und stand dann sichtlich ungeduldig und gelangweilt da, während Helen sprudelnd eine Anekdote aus ihrem Leben mit dem kleinen Mädchen zu erzählen begann. Mittendrin jedoch brach sie ab, eingeschüchtert von diesen kalten blaßblauen Augen, und konnte sich in ihrer Gekränktheit nur damit trösten, daß sie sich sagte, sie habe schließlich gewußt, daß Maia keine Kinder mochte. Kurz danach verabschiedete sich Maia.
Einmal, als Mrs. Sewell mit den Kindern zum Tee zu einer Freundin gefahren war, traf Helen im Botanischen Garten Hugh Summerhayes. Die Schule, an der Hugh unterrichtete, feierte den Gründertag, und er hatte den Nachmittag frei. Das Aprilwetter wechselte zwischen Sonne und Wolken, während sie durch den Garten spazierten. Als es zu regnen anfing, spannte Hugh seinen Schirm auf und nahm Helen bei der Hand, als sie zu den Gewächshäusern rannten.
»Klatschnaß«, sagte Hugh und stieß die Tür auf.
»Ich seh bestimmt schrecklich aus.« Helen hatte ihr langes Haar nicht zurückgebunden; naß und schwer wie Seetang hing es ihr ins Gesicht.
»Überhaupt nicht. Du bist so schön wie immer, Helen.«
Sie mußte sich abwenden und so tun, als betrachtete sie die Pelagonien, sonst hätte er gesehen, daß sie errötet war. Sie dachte, er würde sie vielleicht küssen. Aber dann stürmten drei kleine Jungen durch das Gewächshaus, gefolgt von ihrer laut rufenden Mutter, und der Moment war verstrichen.
»Was machen die Fratzen?« erkundigte sich Hugh, als er ihr seinen Arm bot.
»Sie sind süß. Thomas ist so ein aufgeweckter kleiner Kerl, Hugh – er kann schon ganz allein sitzen.«
Auf die kühle Luft des Alpin mit seinen zarten kleinen Pflanzen folgte die feuchtschwüle Atmosphäre des Tropenhauses. Sukkulenten mit dicken, fleischigen Blättern und leuchtenden Blüten, die aufdringlichen Duft verströmten, hingen von der Glasdecke herab. Eine Palme warf ihren Schatten über sie. Helen, Arm in Arm mit Hugh, stellte sich vor, sie wären in Indien oder Afrika. Hugh könnte an einer Mission unterrichten, und sie …
Seine Stimme drang in ihre Phantasien ein. »Und es klappt gut, Helen? Dein Vater vermißt dich sicher sehr.«
Schlagartig wachgerüttelt, war sie wieder in England, in Cambridge, im Botanischen Garten mit seiner flüchtigen vorgetäuschten Exotik. Sie sah Hugh lächelnd an. »Daddy ist ganz großartig. Es sind natürlich auch die Dienstboten da, die sich um ihn kümmern, und die Gemeindearbeit mache ich an meinem freien halben Tag.«
Hugh druckte sie an sich. Helen war selig. Dann begann Hugh von Maia zu sprechen, und Helen schwatzte strahlend mit.
Nachmittags ging sie häufig mit den Kindern in den Botanischen Garten. Wenn sie Thomas' Kinderwagen die breiten gekiesten Wege entlangschob, blickte sie auf die Rasenflächen und dachte daran, wie Hugh ihre Hand gehalten hatte, als sie durch den Regen gerannt waren. Oft dachte sie sich verschiedene Versionen ihres Gesprächs aus: Sie konnte beinahe hören, wie er mit seiner angenehmen, vertrauten Stimme zu ihr sagte: ›Hör mal, Helen, Liebes – ich hab dich wahnsinnig gern, weißt du das?‹ Dann drückte Hugh seine Lippen auf die ihren, seine starken, warmen Arme umschlossen sie und hielten sie fest. Einmal träumte sie von Hugh und erwachte erhitzt und glücklich, aber voller Schuldgefühle.
Es war Sommer geworden, ein trockener, leuchtender Sommer, und es hatte seit Wochen nicht geregnet. Helen stellte den Kinderwagen am Teich ab und setzte sich mit Thomas auf dem Schoß ins Gras. Doch er wollte nicht stillsitzen, sondern stemmte sich krabbelnd an ihr hoch, bis er, von ihr gehalten und lachend vor Vergnügen, auf seinen kleinen Füßchen stand. Er hatte jetzt schon drei Zähne; Helen glaubte, den Schimmer eines vierten sehen zu können. Er roch köstlich nach Puder und Babyseife. Helen drückte ihn an sich und genoß es, seine warme, samtige Haut an der ihren zu spüren. Gussie fütterte die Enten mit Brot, und Helen ließ sie keinen Moment aus den Augen, weil sie fürchtete, sie könnte sonst zu nah ans Wasser gehen.
»Ist so das Meer?« fragte das kleine Mädchen Helen.
»Das Meer ist viel, viel größer«, antwortete Helen lächelnd. Sie, die das Meer nie gesehen hatte, würde in zwei Wochen mit den Sewells in Urlaub fahren, nach Hunstanton an der Ostküste.
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