Das zerbrochene Fenster: Thriller (German Edition)
kannst kochen?«
»Ich kann es versuchen.«
Er hob die Augenbrauen. »Harvey Nichols hat eine Feinkostabteilung, aber …«
»Wo soll ich denn sonst einkaufen?«, fragte sie.
»Es gibt Supermärkte«, antwortete er trocken. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und er verstand nach einem Moment endlich. »Du warst noch nie in einem Supermarkt?«
Dana versuchte, ihn zur Eingangstür zu schieben, aber Michael blieb stehen. »Ich habe recht, oder? Du warst noch nie in einem Supermarkt!«
»Ich arbeite den ganzen Tag. Wir haben eine Haushälterin, die das übernimmt. Was? Was ist los?«
Michael lachte. Konnte nicht mehr aufhören. Er stand vor ihr und lachte, bis ihm die Tränen über das Gesicht liefen und die Luft knapp wurde. Passanten drehten sich nach ihm um, aber es störte ihn offenbar nicht. Er lehnte sich an einen Laternenpfosten und lachte, wischte sich mit dem Handschuh die Tränen aus dem Gesicht. Lachte immer noch.
Dana ließ ihn schulterzuckend stehen und betrat das Luxuskaufhaus.
Auszug aus Philippa Murrays Tagebuch
Dienstag, 30. 12. 2003
Nichts Neues, überhaupt nichts. Ich war bei Pete und habe ihm geholfen einzukaufen und sein Haus sauber zu machen. Ich hatte die Handwerker bei mir wegen der Heizung, jetzt läuft sie wieder. Irgendwas mit den Thermostaten. Es wird bestimmt sehr teuer. Ich habe Bürokram erledigt, damit ich das Jahr abschließen kann. Ich habe Seans Sachen aufgeräumt, unser Bettzeug gewaschen, neue Handtücher hingehängt. Dann dachte ich, vielleicht dekoriere ich ein wenig um, also habe ich Sofakissen gekauft und eine hübsche neue Tischlampe ausgesucht. Es hat mir so gut gefallen, dass ich gleich wieder losgezogen bin – John Lewis ist ja nicht weit. Ich habe einen neuen Toaster und einen neuen Wasserkocher gekauft, farblich passend, und ebenfalls passende Untersetzer und Topflappen und Geschirrtücher. Als ich zu Hause war und alles ausgepackt hatte, kam ich mir vor wie eine brave Hausfrau aus den fünfziger Jahren, die auf ihren Ehemann wartete. Doris Day und Rock Hudson. Fehlt nur noch, dass ich mir eine Schürze umbinde und Lockenwickler reindrehe. Ich glaube, ich mache das alles gerade, weil ich mir einbilde, es könnte Sean zurückbringen. Ich versuche, ihm das schönste Zuhause zu geben, das er jemals hatte, damit er nie wieder weggeht. Aber dafür müsste er erst mal wiederkommen …
Wenn ich gewusst hätte, wie sein Leben wirklich verlaufen ist, hätte ich mich bestimmt nicht so oft mit ihm wegen dieser blöden Hausarbeiten gestritten. Ich habe ihm immer vorgeworfen, viel zu wenig zu machen und mich zu wenig zu unterstützen. Statt ihm Halt zu geben und einen Platz, an dem er sich geborgen fühlen kann …
Sie feiern schon überall. Sobald es dunkel wird, und es wird ja schon gegen halb vier dunkel. Sie laufen mit Fackeln herum, überall spielen Bands … Ich stelle mir vor, dass sich Sean unter den vielen Menschen versteckt, um uns zum Jahreswechsel zu überraschen …
Bei dieser Vermisstenorganisation konnten sie mir kein Stück weiterhelfen. Sie sagten nur so Dinge wie: Manchmal brauchen Menschen eine Auszeit und können nicht mit denen darüber reden, die ihnen am nächsten stehen. Wir hatten mal einen Fall … Und dann haben sie versucht, mir mit irgendwelchen Geschichten Mut zu machen. Die Frau, mit der ich sprach, war ungefähr Ende dreißig, hatte lange rote Dreadlocks und hieß Sophie.
»Ein neunzehnjähriger Student, alles lief gut in seinem Leben. Dachten jedenfalls alle. Und dann – verschwunden. Die Familie war verzweifelt, die Freundin am Ende. Sie wissen besser als ich, wie es ihnen ging. Er hat sich dann auf den Tag genau ein Jahr später bei uns gemeldet und darum gebeten, dass wir Kontakt mit seinen Angehörigen aufnehmen. Und …«
»Er wollte nicht zurück?«, unterbrach ich Sophie.
»Er brauchte noch Zeit, um sich über einige Dinge klar zu werden. Manchmal stauen sich Gefühle in uns an, mit denen wir …«
»Ich weiß gerade nicht, ob das eine Erfolgsgeschichte ist, die mir wirklich Mut macht.«
Sophie nickte verständnisvoll mit einem angedeuteten Lächeln. Ich glaube, in diesem Moment beschloss ich, sie nicht zu mögen.
»Sie trauern um Sean«, sagte sie. »Sie durchlaufen ungefähr dieselben Trauerphasen wie bei einem Todesfall. Am Anfang steht, dass Sie nicht wahrhaben wollen, dass er weg ist. Bei Ihnen ist alles sehr frisch, Sie sind mitten in dieser Phase. Wenn Sie nach einer Weile einsehen, dass er wirklich weg ist, kommen
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