Deadline 24
Seewegen der Mermaiden.«
»Nur auf denen?«
»Hm. Man kann die Straßen der Mermaiden nicht verlassen.«
»Und wenn man es versucht?«
»Dann scheitert man. Und jetzt schlaf, liebe Sally, ich sing dir auch ein Lied.«
Ganz leise begann er ein Seemannslied zu brummen. Der Rhythmus war schwerfällig und stampfend, einschläfernd wie die Brandung des Ozeans. Sally fielen die Augen zu. Noch im Einschlafen wunderte sie sich, dass sie die altertümlichen Worte verstand. Es schien um einen betrunkenen Matrosen zu gehen und dann war sie selbst der Matrose.
Schwer an Kopf und Gliedern lag sie in einem Kahn, der sanft auf den Wellen schaukelte. Mermaiden krochen herein, umarmten sie mit bleichen Tentakeln. Sally wehrte sich, versuchte sie abzuschütteln, doch sie drückten immer fester zu, nahmen ihr die Luft, tasteten nach ihrem Herzen! »Heyoo!« Ein Schrei gellte über die See, die Mermaiden verschwanden, Sally erwachte schweißgebadet. Die Crew hat sie vertrieben, dachte sie dankbar, immer noch unter dem Einfluss des Albdrucks.
Sie tastete nach Caleb. Er war nicht da, und sie kämpfte sich auf die Füße, ein paar Meter entfernt rappelten sich Monnia und Carlita schlaftrunken von ihrem Lager auf. Die Männer und Josie standen in der Mitte des Raumes, den Blick auf die Barrikade gerichtet, alle mit gezogenen Messern, sprungbereit.
Eine Stange schob sich über den Rand der Barriere, an deren Ende etwas Weißes hing, eine Bluse, glaubte Sally, die wie eine Fahne hin und her geschwenkt wurde. Dahinter flatterte ein blau-weißes Tuch.
»Mein Kopftuch«, stöhnte Jessup. »Sie haben mein Kopftuch gefunden!«
»Erkennt ihr eine Parlamentärflagge, wenn ihr eine seht?«, fragte Mariposas Stimme.
»Erkennen und vertrauen sind zwei Paar Schuh, Mylady«, rief Caleb zurück.
»Ich komme in Frieden, Caleb. Wir müssen verhandeln. Die Dinge haben sich verkompliziert, das hast du selbst gesagt. Ich will mit euch gemeinsam über Lösungsmöglichkeiten reden.«
»Wie hast du uns gefunden?«
»Das war nun wirklich nicht schwer. Wir mussten nur den richtigen Tunnel wählen. Da war es ganz hilfreich, dass im Eingang des einen Tunnels dieses Tuch lag. Ein typisches Seemannstuch, oder?«
»Verdammt!«, stöhnte Jessup.
»Kann ich reinkommen? Der Arm schläft mir ein. Außerdem hocke ich hier im Hemd, weil meine Bluse an dem Stock da hängt.«
Die Crew tauschte ratlose Blicke.
»Dürfen wir ihr trauen?«, wandte Caleb sich schließlich an Josie. Die war kalkweiß im Gesicht, knipste ihre Lampe aus und zog sich ohne ein Wort ins Dunkel zurück.
»Sehr aufschlussreich«, brummte Caleb. »Was meint ihr?«, wandte er sich an Monnia und Sally.
Sally wusste nicht, was sie denken sollte. War Mariposa noch in derselben Stimmung wie am frühen Morgen, oder war ihre Laune in den letzten Stunden umgeschlagen, war sie wieder die kaltherzige Fürstin der Dunkelheit?
»Heute Morgen hat sie uns geholfen«, flüsterte sie endlich.
»Auf jeden Fall hat sie’s versucht«, versicherte Monnia.
Caleb seufzte. »Also schön, Mylady!«, rief er. »Komm rein. Aber unbewaffnet und allein, hörst du? Wenn du jemand mitbringst, ist er tot!«
Auf seinen Wink hin huschten Jarvis und Jessup zur Barrikade, pressten sich mit erhobenen Messern dicht an die Wand, bereit, jeden zu erstechen, der die Lady begleitete.
Die weiße Fahne verschwand. »Natürlich komme ich unbewaffnet und allein, ich weiß, was sich für einen Parlamentär gehört.«
Kleiderrascheln war zu hören, vermutlich zog Mariposa ihre Bluse wieder an. Sie winkte über die Barriere. »Was ist?«, rief sie herausfordernd. »Soll ich mir jetzt den Hals brechen?«
Sausalito zog ein paar Bretter heraus, sodass die Lady sich durch eine schmale Öffnung zwängen konnte. Lächelnd stand sie im Raum, stülpte die Taschen ihres Mantels nach außen, öffnete ihn weit, um zu zeigen, dass sie keine Waffe trug, und kam sofort zur Sache: »Ihr habt den Helikopter verloren, gebt es zu. Ich kann eins und eins zusammenzählen. Es ist der Kuppelfarmjunge, nicht wahr? Sally Haydens Bruder, der Verlobte von diesem anderen Mädchen da?«
»Monnia Terleben heiße ich«, sagte Monnia. »Das könnten Sie sich langsam mal merken, auch wenn Sie eine hohe Lady sind. Übrigens, wie geht es Padrino?«
Mariposa schnaubte verächtlich. »Wie soll’s dem wohl gehen! Wo ist Josslyn?«
»Ich bin hier!« Josie trat aus dem Dunkel und knipste ihr Licht wieder an.
»Du hast Nerven, junge Dame!«, schimpfte
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