Dear Germany - Dear Germany - Life without a top sheet
»Samstagnachmittag arbeite ich nicht … brauche dringend Urlaub … Scheißwetter … faule Kollegen … fieser Chef …« – die Liste könnte noch beliebig weiter fortgeführt werden. Zugegeben, meine Studie, wo auf dieser Welt am meisten gejammert wird, ist noch nicht abgeschlossen, aber trotzdem würde ich jetzt schon behaupten, dass das Jammern in Deutschland Kultur hat.
Gelegentlich bekommt der Kunde in Deutschland sogar Einblick in das Privatleben der Angestellten. Es ist schon öfter passiert, dass ich die Verkäuferin etwas fragen oder einfach bezahlen wollte, mich aber gedulden musste, bis diese ihr Privatgespräch beendet hatte. Nicht selten komme ich mir als Kunde wie ein richtiger Störenfried vor: »Ähm, Verzeihung, tut mir leid, dass ich Sie unterbreche, aber ich möchte wissen, ob ich eben meine Sachen bei Ihnen bezahlen kann, oder soll ich besser warten, bis Sie geklärt haben, ob Ihr Bruder die Tochter des Nachbarn oder seine erste Liebe aus dem Kindergarten heiraten wird?« Scheinbar ist es mancher Verkäuferin wichtiger, wer ihre zukünftige Schwägerin wird, als für Umsatz zu sorgen und mich meine Einkäufe bezahlen zu lassen.
Unübertroffene Spitzenreiter in Sachen Unterhaltung sind allerdings Supermärkte. Ich habe inzwischen gelernt, dass ich dort das beste Theater in der Stadt sehen kann. Die Gespräche zwischen den Verkäuferinnen kommen meistens nicht ohne eine gewisse Theatralik und Dezibelstärke aus.
Sehr amüsant fand ich beispielsweise, als ich einmal miterlebte, wie Frau Schmidt aus der Fleisch- und Wurstabteilung die Hilfe ihrer Kollegin Frau Meier benötigte. Sie verkündete ihr Anliegen in einer Lautstärke, dass alle es hören konnten.
»Frau Meier?«
Keine Reaktion.
Danach lauter: »Frau Meiii-er?«
Am liebsten wäre ich zu Frau Schmidt gegangen und hätte ihr gesagt, dass ich Frau Meier kurz zuvor bei den Cornflakes am anderen Ende des Ladens gesehen habe. Aber ich zog es doch vor, mich aus dem Stück herauszuhalten.
Schließlich tönte Frau Schmidts Stimme irritiert durch den ganzen Laden: »Frau Meier! Kommen Sie bitte! Sie werden hier dringend gebraucht!«
Das wirkte dann auch. Außerdem wusste nun jeder im Laden, dass Frau Meier sich auf den Weg machte – zur Fleischtheke oder Kasse oder wo sie auch immer hinkommen sollte. Für mich war es ein kurzes, aber lebendiges Schauspiel.
An den Kassen kann man oft ein anderes Spektakel verfolgen. Da die Schlangen meist lang sind, wird der deutsche Kunde in dem Moment zum Raubtier, wenn eine zusätzliche Kasse geöffnet wird. Als ich das zum ersten Mal erlebte, konnte ich meinen Augen kaum trauen. Fast schien es wie ein Wettkampf, bei dem jedes Mittel recht ist und alle Teilnehmer mit guten Manieren verlieren. Das weckte bei mir keine große Freude, da ich weiß, dass es anders geht. In Amerika bleibt die Reihenfolge der Wartenden, wie sie in der alten Schlange war, bestehen, und niemand versucht, den anderen zu überholen.
Der krönende Abschluss eines jeden Einkaufs in Deutschland ist allerdings das Wettrennen mit der Kassiererin. Als ich zum ersten Mal in einem Supermarkt bezahlen wollte, dachte ich mir: »Das kleine Ding mit dem Laufband soll die Kasse sein?«
Gerade weil die Laufbänder so kurz sind, muss ich jedes Mal in Höchstgeschwindigkeit meine Waren auf das Band legen, bezahlen und wieder abräumen. Denn am Ende des Bands ist so gut wie kein Platz, um die Sachen in Ruhe einzupacken. Ich werfe die Einkäufe lediglich in einem Affentempo wieder in den Wagen, ohne sie ordentlich in Taschen oder Tüten verstauen zu können.
Für diesen Wettkampf, in dem der Kunde beweisen muss, dass er mit der Kassiererin mithalten kann, musste ich langetrainieren. Vielleicht kann man irgendwann eine besondere olympische Disziplin daraus machen und Medaillen für die schnellsten Kunden verteilen.
Medaillen verdient hätte auf jeden Fall auch die Umweltfreundlichkeit der Deutschen. Da können Amerikaner noch viel lernen. Es ist wirklich lobenswert, wie viele Leute hier einen Korb oder Stofftaschen zum Einkaufen mitnehmen. Das hat inzwischen sogar auf mich abgefärbt: Neulich habe ich tatsächlich einen schicken roten Stoffkorb gekauft und verzichte seitdem auf meine tägliche Plastiktüte. Wir sollten das nach Amerika exportieren, denn meine Landsleute könnten Hilfe in Sachen Umweltschutz gut gebrauchen.
Niemals hätte ich allerdings damit gerechnet, dass sogar bei deutschen Zollbeamten ein gesteigertes Umweltbewusstsein
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