Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
Gepäck auf. »Irgendwie werde ich es schon über den Berg schaffen. Ich bin immer gern auf Besuch in der großen Welt.«
Rina lächelte. Ihre Eltern hatten nicht etwa Geld wie Heu, aber sie lebten in der besseren Gegend von Beverly Hills. Ihr Zuhause war ein altes Landhaus in einem Wohngebiet, wo Bauarbeiter und Lieferanten beinahe zum täglichen Straßenbild gehörten. Das Haus auf dem Grundstück gleich nebenan war erst kürzlich umgebaut worden. Der modernistische Monolith von tausend Quadratmetern wirkte auf dem für ihn viel zu kleinen Grundstück ähnlich unproportioniert wie eine Matrone im Bikini.
Sie gingen hinaus, und Decker schloß die Tür ab. Da erinnerte sich Rina: »Peter, ich war heute morgen so durcheinander, daß ich vergessen habe, den Namen des Detectives aus New York aufzuschreiben, der wegen Gershon Kleins Ermordung angerufen hat.« Sie steckte die Hand in ihre Babytasche und zog ein Stück Papier heraus. »Aber er hat mir die Telefonnummer vom Revier gegeben. Hier.«
Decker steckte den Zettel ein. »Ich kümmere mich drum.«
»Bilde ich mir das nur ein, oder mußt du jetzt wirklich meinetwegen eine Menge inoffizielle Überstunden machen?«
Decker drückte leicht ihre Schulter. »Mach dir darüber keine Gedanken.«
»Es ist wegen der Kinder –«
»Ich weiß, Liebling. Ich mache mir um sie alle Sorgen. Bisher haben wir nur einen gestrandeten Van mit zwei Platten. Es kann ja auch einfach nur ein Problem mit dem Auto gewesen sein.«
»Das hältst du wirklich für eine Möglichkeit?«
Decker antwortete nicht. Statt dessen öffnete er die Tür. »Alles bereit.« Er nahm Rina Hannah aus dem Arm. »Ich setze sie in den Kindersitz. Bist du sicher, daß ich die Jungen nicht abholen und zur Jeschiwa rüberfahren soll?«
»Es ist kein Problem für mich, Peter. Ich bin sicher, du hast genug zu tun, ohne dir auch noch um Fahrdienste Gedanken zu machen.«
Wohl wahr, dachte Decker. Er war ein vielbeschäftigter Mann, mit Toten und Lebenden, die um seine Aufmerksamkeit wetteiferten.
Marges liebreizende Stimme tönte durch Deckers Sprechfunkgerät: »Wohin zum Teufel bist du verschwunden?«
»Hat Tug dir nichts gesagt?«
»Kein Wort.«
Decker erzählte ihr, warum Rina angerufen hatte; danach sagte eine sehr viel ruhigere Marge: »Mein Gott, das ist ja schrecklich! Kein Zeichen von den Kindern?«
»Ich habe gerade mit Officer Rachel Parks von der Autobahnpolizei gesprochen – die stinkendwütend ist, weil ich so lange brauche, um zu ihr hin zu kommen. Ich habe gelogen und gesagt, ich säße im Stau. Jedenfalls ist bisher niemand gekommen, um den Wagen zu holen. Ich bin jetzt auf dem Weg dorthin. Und was ist bei dir los?«
»Na ja, wir haben, wonach wir gesucht hatten – Identifikation positiv in beiden Fällen – Arik und Dalia Yalom. Ich dachte, ich würde aufgeregt sein, weil wir solche Fortschritte machen, aber statt dessen fühle ich mich wie erschlagen. Deshalb bin ich so sauer auf dich. Ich kann mit niemandem reden außer Tug, und der ist ungefähr so hilfreich wie ein Nagel an der Wand.«
»Wie hält sich Orit Bar Lulu?«
»Sie ist in ganz erbärmlichem Zustand, Pete. Ich habe ihren Mann angerufen und ihn gebeten, herzukommen und seine Frau abzuholen. Die Frau ist völlig am Ende. Ich habe ihm auch empfohlen, er soll ihrem Arzt Bescheid geben. Sie saß in dem Einsatzwagen, zitterte und versuchte, ein bißchen Mineralwasser herunterzuschlucken. Dann wurde sie zappelig und wollte aufstehen. Da ist sie ohnmächtig geworden. Zum Glück konnte ich sie auffangen.«
»Ruf einen Krankenwagen.«
»Habe ich. Davidson fand die Idee Zucker – und jetzt zitiere ich: ›Das letzte, was das Department gebrauchen kann, ist noch eine Anzeige wegen fahrlässiger Tötung.‹ Hat unser Old Tug nicht die Sensibilität gepachtet?«
»Ist der Leichenbeschauer schon eingetroffen?«
»Ja. Chuck Kann. Er ist äußerst sorgfältig. Jemand hat Dalia einen Krater in die Brust geschossen. Wird ’ne Weile dauern, sie zu reinigen und das ganze Ausmaß der Verletzung festzustellen. Sieht nach einem Gewehr aus oder einer schweren Automatikwaffe. Mit Arik hat Chuck bisher noch gar nicht angefangen.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Stille. Marge fragte Decker, was er gerade denke.
»Wir haben ein großes Loch in der Brust, ergo eine große Waffe. Wenn wir annehmen, daß die Kinder die Eltern umgelegt haben, kannst du dir vorstellen, daß sie Mami und Papi Gewehre schwingend den Berg hinaufführen?
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