Dein ist das Leid (German Edition)

spürte ich diese binäre Energie wieder ganz stark. Das dürfen wir nicht ignorieren. Casey, was immer Paul Everett sonst noch sein mag, er ist jedenfalls nicht tot. Mir ist klar, dass du keine Option ausschließen darfst, aber um diese sollten wir uns am Schluss kümmern. Nicht nur, weil ich sicher bin, dass ich in diesem Punkt recht habe, sondern auch, weil wir nur Zeit verschwenden, wenn wir in eine Richtung ermitteln, die Amanda gar nichts bringt. Wenn wir herausfinden, dass Justins Vater nicht mehr lebt, untergraben wir unser eigenes Ziel.“
    Alle anderen nickten zustimmend. Nicht einmal Ryan widersprach.
    „Das scheint Konsens zu sein“, meinte Casey. „Und Hutch ist derselben Ansicht, also schieben wir das Themenfeld ‚Tod‘ ans Ende und konzentrieren uns zunächst auf die anderen.“
    „Was den ‚Zeugenschutz‘ angeht, kannst du auch gleich Zeit sparen“, sagte Patrick widerstrebend. „Genau wie bei ‚Flucht‘. Zwar sind diese beiden Möglichkeiten nicht von der Hand zu weisen, wenn man eine mögliche Verwicklung der Mafia bedenkt und die Mühe in Betracht zieht, mit der man Paul Everetts Verschwinden überzeugend als Mord hinstellen wollte.“
    Casey sah ihn an. „Und?“
    Patrick räusperte sich und fummelte mit gesenktem Blick an seinem Stift herum. Ganz eindeutig wollte er lieber nicht aussprechen, was er auf dem Herzen hatte.
    „Ich habe einen alten Kumpel bei den U.S. Marshals“, sagte er endlich. „Der schuldet mir den einen oder anderen Gefallen. Ich könnte ihn mal um einen davon bitten. Er kann ziemlich schnell herausfinden, ob Paul Everett durch das Zeugenschutzprogramm eine neue Identität bekommen hat oder untergetaucht ist und gesucht wird. Das wird mein alter Kumpel gar nicht mögen. Ich selber mag es auch nicht. Aber er wird das für mich tun.“ Er sah sich um. „Ich werde ihn nicht nach Einzelheiten fragen“, stellte Patrick klar. „Also bittet mich nicht um Details. Ich frage nur nach einem Ja oder Nein in beiden Fällen. Mehr kann ich nicht tun.“
    „Das ist doch großartig.“ Casey war klar, wie sehr Patrick den kurzen Dienstweg verabscheute. Das lief seinem ganzen Wesen zuwider. „Wir wollen gar nicht wissen, wie dein Kumpel heißt, und er soll auch keine Einzelheiten über Paul verraten.“ Casey zögerte, bevor sie vorsichtig einen Zeh ins kalte Wasser steckte. „Könnte dein Freund bereit sein, Paul eine Botschaft zu überbringen? Wäre es zu viel verlangt, ihn danach zu fragen?“
    Patrick blickte wieder finster. „Ich bezweifle sehr, dass Everett im Zeugenschutzprogramm ist. Selbst wenn, hätte er immer noch Zugang zum Internet. Er hätte ganz sicher das Video gesehen und etwas unternommen. Allerdings, wenn er untergetaucht ist …“ Er machte eine nachdenkliche Pause. „Dann sind wir vermutlich angeschissen. Aber ehe wir solche Spekulationen anstellen, rufe ich einfach an und frage nach. Sobald wir hier fertig sind.“
    „Vielen Dank.“ Casey wandte sich wieder der Videowand zu. „Damit stehen im Moment nur noch zwei Themenfelder zur Diskussion: Straftäter und Informant. Ich will von euch allen hören, was dafür und was dagegen spricht. Danach werden die Aufgaben verteilt.“
    Sie diskutierten über beide Möglichkeiten, bis sie sicher waren, alle Optionen berücksichtigt zu haben, die Paul Everett innerhalb der beiden Szenarien gehabt hatte. Damit war klar, wer was zu tun hatte.
    Marc und Ryan würden wieder in die Hamptons rausfahren und Gecko in Moranos Wohnwagen installieren. Gleichzeitig würde Ryan seine Überprüfung des Hintergrunds von Morano und Everett verfeinern und schließlich abschließen.
    Casey würde Detective Jones sofort persönlich aufsuchen. Sie wollte sich nicht länger am Telefon hinhalten lassen, sondern ihm in die Augen sehen, während sie ihn mit Fragen löcherte. Außerdem wollte sie alle Kontakte zur New Yorker Polizei nutzen, die sie noch aus ihrer Zeit als Beraterin dort hatte. Dort hatte man hoffentlich etwas von einer Beteiligung der Mafia läuten hören.
    Claire würde zunächst mit Marc und Ryan fahren, dann aber ihrer eigenen Wege gehen. Sie wollte Pauls Cottage und Amandas Apartment noch einmal allein aufsuchen und ihre Energien wahrnehmen, denn dafür hatte sie bei ihrem ersten Besuch kaum Zeit gehabt. Ohne Ablenkung durch die anderen konnte sie sich besser konzentrieren. Außerdem war sie nun einige Tage länger mit diesem Fall beschäftigt und wusste mehr über die Menschen und ihre Lebensumstände.
    Hero