Dein ist das Leid (German Edition)
geringfügige Verbesserungen brauchten.
Patrick stand an der Ecke Second Street und C Street NE und sah sich um. Alles sah genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Regierungsgebäude, die St. Joseph’s Church, dichter Verkehr und Trauben von Fußgängern, die eilig unterwegs waren. Und das war nur das, was von hier zu sehen war. Nicht weit entfernt gab es ein paar Coffee Shops, eine Bäckerei, ein Café und einen Supermarkt. Etwas weiter entfernt war Stanton Park, im Norden lag die Union Square Station.
Er musste ein großes Territorium abarbeiten. Und hatte nur ein paar Fotos und sein Bauchgefühl.
Eins muss man über die Hamptons wissen. Im Winter machen sie dicht, im wahrsten Sinne. Für Montauk an der östlichen Spitze von Long Island galt das erst recht. Selbst die tapfersten Fischer, die den kühlen Herbsttagen trotzten, um ihre Netze auszuwerfen, waren im Dezember verschwunden.
Obwohl das ganze Jahr Autos vorbeifuhren, war Lake Montauk völlig verlassen, als sie ankamen. Es wehte eine steife Brise, die ihnen ins Gedächtnis rief, dass Weihnachten vor der Tür stand. Die Kälte wurde durch die Nähe des Wassers noch verstärkt.
„Hier. Halten Sie hier an“, sagte Amanda zu Casey, als sie auf dem West Lake Drive um eine Kurve bogen.
Casey trat auf die Bremse, der Van stoppte. „Sind Sie sicher?“, fragte sie leise.
Amanda blickte zum See, bevor sie wieder auf die Straße sah. „Ja, ganz sicher. Diesen Ort werde ich nie vergessen.“ Sie schluckte schwer, ihr Gesicht war weiß wie die Wand. „Bringen wir es hinter uns.“ Sie machte die Tür auf und trat aus dem Wagen.
Casey und Marc warfen sich einen Blick zu.
„Das ist die richtige Stelle.“ Vom Rücksitz aus beantwortete Claire die unausgesprochene Frage. „Hier gibt es eine finstere Aura von Gewalttätigkeit. Im Umkreis von wenigen Metern muss etwas Schreckliches passiert sein.“ Auch sie stieg mit gefurchten Brauen aus. „Ich spüre das ganz stark. Aber es ist genauso komplex wie in Paul EverettsHaus. Unglaublich viele widerstreitende Gefühle stürzen plötzlich auf mich ein.“ Sie blieb, wo sie war, machte die Augen zu und versuchte, sich auf etwas Konkretes zu konzentrieren.
„Na ja, vielleicht empfindest du ja etwas Genaueres. Marc, du und Hero, ihr zieht ebenfalls euer Ding durch. Ich will Amanda nicht allein lassen.“ Casey hatte den Motor abgestellt und war ausgestiegen. „Das muss für sie der quälendste Teil überhaupt sein. Wir müssen bei unseren Fragen vorsichtig sein, damit sie nicht abblockt.“
„Ja, das müssen wir“, stimmte Claire zu.
Marc nickte und ging nach hinten, um Hero herauszulassen und anzuleinen.
Amanda war ein paar Schritte gegangen, dann stehen geblieben. Sie schlang die Arme um sich selbst wie einen Schutzschirm. Sie hielt den Kopf gesenkt, starrte auf die Straße. Aber Casey merkte, dass sie eigentlich gar nichts sah. Stattdessen sah sie Pauls Wagen vor sich, den Fahrersitz voller Blut, und durchlebte diese albtraumhafte Stunde ein weiteres Mal.
„Hey.“ Casey legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie Sie sich jetzt wohl fühlen. Es tut mir sehr leid, dass wir Sie dem aussetzen müssen.“
„Aber es muss getan werden.“ Amanda hob entschlossen das Kinn. „Es ist eine merkwürdige Mischung von Gefühlen. Einerseits ein rasender Schmerz. Aber auch Wut und Abscheu. Wenn Paul wirklich noch lebt, ist das natürlich gerechtfertigt. Aber selbst wenn er tot sein sollte – das Gefühl ist dasselbe. Wenn jemand hier rausgefahren ist, um ihn umzubringen, muss es einen Grund dafür geben. Und Paul hat sich offenkundig auf das Treffen eingelassen. Also muss er doch selbst irgendeinen Anteil an seiner Ermordung haben? Er muss in etwas Illegales verwickelt gewesen sein. Ich habe ihn geliebt, aber vermutlich kannte ich ihn gar nicht wirklich. Und Justin …“ Sie sog langsam die Luft ein. „Mir ist klar, Paul hatte keine Ahnung, dass ich schwanger war. Trotzdem, ich werfe ihm vor, dass er jetzt nicht da ist, wo Justin ihn so dringend braucht. Das ist wahrscheinlich vollkommen irrational.“
„Nein, es ist nur menschlich.“ Casey sprach voller Überzeugung. „Für Sie war Pauls Tod eine Lebenskrise. Justins Krankheit ist eine sogar noch größere. Ihre Gefühle mögen völlig verworren sein, aber jedes einzelne von ihnen ist begründet. Da brauchen Sie sich gar nichts vorzuwerfen.“
„Vielen Dank.“ Amanda hörte Schritte und drehte sich um. Claire
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