Dein ist das Leid (German Edition)
zusammenzufallen, hatte er endlich Glück. Eine der Kellnerinnen, eine dralle Frau mittleren Alters namens Evelyn, schien Paul von den Fotos wiederzuerkennen. Ganz sicher war sie sich nicht. Aber wenn er es war, dann kam er immer morgens gegen halb acht vorbei, um einen Kaffee zu trinken – vielleicht sogar jeden Tag, auf jeden Fall an den Tagen, an denen sie Frühschicht hatte.
Wenn Patrick dem nachgehen wollte, musste er die Nacht in Washington verbringen.
Sofern er nicht dringend in der Zentrale gebraucht würde, gab es keine andere Wahl.
Er wollte gerade Casey anrufen, als sein Handy klingelte. Es war Ryan.
„Hi, Ryan“, begrüßte er ihn. „Ich könnte hier in einem Coffee Shop auf eine Spur gestoßen sein, aber überprüfen kann ich das erst morgen früh. Braucht ihr mich zurück im Büro?“
„Tatsächlich brauchen wir dich genau da, wo du bist.“ Ryan erklärte ihm die Situation, die zu kompliziert für eine SMS war. „Fenton geht mit dem Abgeordneten um halb eins im Monocle Restaurant auf dem Capitol Hill essen“, schloss er. „Ich habe für dich unter dem Namen Jake Collins reserviert. Die Reservierung von so einem Lobbyisten wurde gerade abgesagt. Was der Kerl politisch erreichen will, finde ich sowieso nicht gut.“
„Dann bin ich also zum Frühstück und zum Mittagessen verabredet“, erwiderte Patrick trocken.
„Sei hungrig.“
Das Forensic Instincts -Team schaffte es in Rekordzeit von Montauk nach Westhampton Beach. Sie mussten so viel wie möglich aus Amanda herausholen, bevor sie darauf bestand, zurück in die Stadt und zu Justin gebracht zu werden. Sie parkten vor dem Haus und eilten die Treppe hoch zu Amandas Apartment.
Es war eine großzügige Eineinhalbzimmerwohnung mit viel Licht,direkt über einem der Geschäfte an der Main Street in Westhampton Beach. Besonders im Sommer würde es hier viel Straßenlärm geben. Andererseits konnte sie sich deshalb die Miete leisten. Und Amanda gehörte zu den glücklichen Menschen, die die Außenwelt völlig ausblenden konnten, wenn sie arbeiteten. Ihre Karriere als Fotografin litt also nicht darunter. Ihr Schlaf allerdings schon, vor allem wenn sie tagsüber etwas Schlaf nachholen wollte. Aber Amanda war eine Nachteule, und als frischgebackene Mutter kriegte sie sowieso nicht viel Schlaf.
Alles in allem war die Wohnung ideal für sie, nahe am Wasser, wo sie am besten nachdenken konnte. Die Kinderkrippe, traurigerweise nur für ein paar kurze Wochen belegt, stand in dem halben Zimmer. Trotz der bunten Tapete mit verschiedenen Tierbabys darauf und einem dazu passenden Mobile über der Krippe wirkte es seltsam leer.
Amanda wandte sich sofort von der Krippe ab, wollte nicht einmal die Kammer betreten. Ihr Schmerz war für die anderen geradezu greifbar, selbst für Hero. Er gab jaulende Geräusche von sich, verstummte erst auf Marcs ruhigen Befehl.
„Das also ist mein Zuhause“, sagte Amanda mit einer umfassenden Armbewegung. Dann folgte sie Claire zurück ins Schlafzimmer.
„Hier spüre ich Pauls Präsenz sehr stark“, kommentierte Claire. „Obwohl er hier weniger Zeit verbracht hat als in seinem Cottage. Ich vermute, dass er sich hier am wohlsten fühlte, am meisten er selbst sein konnte.“
„Welches Selbst?“, fragte Amanda bitter.
„Das Selbst, das Sie geliebt hat.“ Claire legte ihr sanft eine Hand auf den Arm. „Darf ich mir die persönlichen Dinge ansehen, über die wir geredet haben?“
„Natürlich. Ich hole sie.“ Amanda eilte den Flur entlang, zu einem Wandschrank, stellte sich auf die Zehenspitzen und wühlte im obersten Fach herum.
Casey war nicht überrascht, dass sie Pauls Sachen dort aufbewahrte. Offensichtlich wollte Amanda sie nicht in ihrem persönlichen, intimen Bereich haben, sondern steckte sie in den unpersönlichen Wandschrank. So konnte sie am besten Erinnerungen an ihn verdrängen und ihre emotionalen Bindungen an ihn durchtrennen.
Casey nutzte die wenigen Minuten, in denen sie mit ihrem Team zum ersten Mal seit Ryans Anruf allein war. „Marc, du musst noch einen Tag länger hier draußen bleiben. Ich sage dir, was du machensollst, wenn Amanda bei Claire ist. Hero nehmen wir mit nach Hause.“
Marc nickte und stellte keine Fragen. Dafür hatten sie später noch Zeit.
Casey wandte sich an Claire. „Was hat dir oben am Lake Montauk so zu schaffen gemacht?“, fragte sie direkt. „Du bist stehen geblieben und hast dich besorgt umgesehen, nicht nur einmal. Was hast du da gespürt?“
Claire
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