Dem Winde versprochen
selbst zu helfen wussten. Nicht so bei Isaura Maguire. Sie war alles andere als feige, sogar in diesem Moment, in dem sie so demütig und schwach zum Bild des Sagrado Corazón aufblickte. Er empfand tiefen Respekt.
Er sah Tränen auf ihren Wangen. Sie war so blass, dass er erschrak. Er stand vollkommen im Bann der Stille und der Feierlichkeit des Augenblicks. Hatte er ein Recht auf die Reinheit dieser Frau?
Melody begann zu schluchzen und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Blackraven fiel neben ihr auf die Knie. Sie spürte eine Hand an ihrer Taille und einen warmen Hauch an ihrem Ohr. Die Worte, die dann folgten, kamen ihr vor wie ein Traum: »Ich würde alles für dich tun.«
Sie sah ihm in die Augen. Sie vertraute diesem Mann nicht. Schön, reich, eitel – ein Frauenheld. Skrupellos. Noch dazu Engländer. Doch in einem Anflug von Einsamkeit und Verwundbarkeit gestand sie ihm: »Es ist wegen Jimmy.«
»Ich weiß«, sagte er und fuhr mit einem Taschentuch über ihre Wangen.
»Vorgestern ist er ohnmächtig geworden. Ich dachte, er sei tot. Er kam überhaupt nicht mehr zu sich.«
»Ich weiß. Somar hat mir eine Nachricht geschickt. Deshalb bin ich zurückgekehrt.«
Sie sahen sich an. In diesem Moment waren sie einander sehr nahe. Noch nie hatte er solche Zärtlichkeit empfunden wie beim
Anblick dieses Mädchens mit den roten Haaren und den verweinten Augen.
»Morgen früh kommen die beiden besten Ärzte der Stadt und kümmern sich um Jimmy.«
»Nicht noch mehr Ärzte. Was können sie mir schon sagen? Dass er nicht mehr lange zu leben hat? Ich ertrage es nicht mehr, das noch einmal zu hören. Das erzählen sie, seit er auf der Welt ist. Nein, ich will keinen Arzt. Jimmy hat Angst vor ihnen.«
»Isaura, du musst vernünftig sein.« Roger war zum Du übergegangen. Ihr kam das ganz selbstverständlich vor. »Vielleicht gibt es noch Hoffnung.«
»Ich habe das Geld nicht.«
»Ich übernehme das.«
»Nein.«
»Jetzt sei nicht so dickköpfig«, sagte er geduldig. »Ein Engländer ist so gut wie jeder andere, um deinen Bruder zu retten. Willst du verbieten, dass sich zwei hervorragende Professoren Jimmy anschauen, und das alles nur aus törichtem Stolz?«
Sie senkte betrübt den Blick und sagte nichts mehr; dann trocknete sie die Tränen und stand auf. Blackraven half ihr.
Bernabela sah ihn zusammen mit Miss Melody aus der Kirche kommen. Sie berührten sich nicht, und doch wirkten sie sehr vertraut. Was die Sklavin Berenice Sabas erzählt hatte, erschien keineswegs abwegig. Sie hatte gut daran getan, sie zu bitten, die Vergangenheit der Hauslehrerin zu erforschen. Irgendwie würde sie sie schon loswerden. Cunegundas Zauberkünste zeigten keinerlei Wirkung, sie weigerte sich sogar, weiterhin schwarze Magie bei Miss Melody anzuwenden.
»Miss Melody hat einen sehr mächtigen Geist, der sie beschützt. Alles, was ich tue, wendet sich gegen mich. Ich bin sicher, dass die Gerechtigkeit über sie wacht. Ich will nicht tot enden, Herrin Bela.«
»Vergifte sie.«
»Davon verstehe ich nichts«, log sie.
Papá Justicia hatte geschworen, sie zu töten, falls sie noch einmal mit Giften hantierte.
Diogo ging auf sie zu, um die beiden zu begrüßen, mit diesem Ausdruck eines braven Lämmchens, den er für seine Angebetete, Miss Melody, reserviert hatte. Wenn er ihr doch einen Antrag machen und sie mit sich fortnehmen würde! Sie würde es ihm vorschlagen – sogar ein Raub wäre zu erwägen. Blackraven ließ sich von Diogo jedoch nicht aufhalten und ging weiter, die Hand auf Miss Melodys Rücken. Er bahnte ihr den Weg wie ein Leibwächter. Eine Gruppe Sklaven kam auf sie zu, aber Blackraven hob die Hand und befahl: »Nicht jetzt, später im Hinterhof von El Retiro.«
Bela war sprachlos angesichts des Schauspiels. Er verteidigte sie mit einem Eifer, den sie bei einem so kühlen Mann nie für möglich gehalten hätte. Ein hysterisches Lachen entwich ihrer Kehle, und sie hielt sich den Fächer vor das Gesicht. Roger Blackraven verliebt in ein so nichtssagendes Geschöpf wie Miss Melody? Und überhaupt: Blackraven verliebt? Lächerlich.
Sie dachte an das letzte Treffen im Haus in der San José und war niedergeschlagen. Er war ihr abwesend vorgekommen. Der Gedanke quälte sie, dass er an Miss Melody dachte, während er mit ihr schlief. Ihre Seele verfinsterte sich, und sie hasste ihn mit solcher Inbrunst wie nicht einmal Valdez e Inclán.
Diogo gesellte sich zu ihr. »Wie ich sehe, steht Miss Melody mit
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