Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Den Tod im Blick- Numbers 1

Den Tod im Blick- Numbers 1

Titel: Den Tod im Blick- Numbers 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
Vom Netzwerk:
ich.
    »Ich hab nicht viel Geld. Das hier ist ein besonderer Tag für mich, ich hab ihn mir von der Rente abgespart …«
    Der Groschen fiel: Das alte Herzchen dachte, ich wollte sie beklauen. »Nein«, sagte ich und trat einen Schritt zurück. »Nein, ich will nicht Ihr Geld. Nein, das ist es nicht. Entschuldigung.«
    Ich war gegen den Typen vor uns gestoßen, er schwang herum, die Ecke seines blöden Rucksacks hatte voll meinen Rücken erwischt. Scheiße, die schlagen dich zusammen, schoss es mir durch den Kopf. Ich wich zurück in Spinnes Richtung.
    »Tut mir leid, Kumpel«, sagte ich mit gesenktem Kopf, die Hände in den Taschen vergraben. »War keine Absicht.«
    »Ist schon in Ordnung. Das ist kein Problem.« Sein gestelztes Englisch weckte meine Aufmerksamkeit. Ich warf einen Blick unter der Kapuze hervor. Erstaunlicherweise wirkte er genauso gespenstisch wie ich, er hatte Schweißperlen auf der Stirn, die Haare lagen ihm angeklatscht und dunkel am Schädel. »Ist alles in Ordnung«, sagte er und nickte, als ob er wollte, dass ich ihm zustimmte.
    »Klar, alles in Ordnung«, echote ich, erstaunt, dass ich noch immer wie ein normaler Mensch sprechen konnte. Innerlich schrie jetzt meine Stimme – ein stechender Angstschrei zerriss mich. Er hatte sie auch. Verstehst du? 08122010. Seine Zahl.
    Irgendwas würde mit diesen Leuten passieren.
    Heute.
    Hier.
    Ich drehte mich um und stolperte zurück zu Spinne, der noch immer wild rumfluchte.
    »Spinne, wir müssen los.« Er ignorierte mich, völlig eingeschlossen in seine eigene kleine Welt. Ich packte seinen Arm. »Bitte, Spinne, hör mir mal zu. Wir müssen weg hier.« Bemerkte er denn nicht die Panik in meiner Stimme? Spürte er nicht, wie meine Hand auf seinem Arm zitterte?
    »Ich geh nirgendwohin, Mann. Ich bin noch nicht fertig mit dem Scheißort hier.«
    »Doch, Spinne. Ist auch egal. Wir müssen nur weg hier.«
    Jede Sekunde, die wir dastanden und redeten, bedeutete eine Sekunde näher dran an was auch immer, das die Leute hier auslöschen würde. Mein Herz hämmerte, als ob es jeden Moment aus dem Brustkorb platzen wollte.
    »Ich geh da jetzt hin und red mit dem Obermacker oder wer hier zuständig ist. Irgendwer muss denen doch mal Bescheid sagen und sie zurechtstauchen. Das ist ja widerlich, Leute so auszunehmen. Wir sollten uns das nicht mehr gefallen lassen. Wir …«
    Er hörte einfach nicht zu. Ich hatte keine Chance, ihn zum Zuhören zu bewegen.
    »… lassen uns viel zu viel Scheiße gefallen in diesem Land. Werden doch alle behandelt wie Bürger zweiter Klasse. Wir –«
    Ohne drüber nachzudenken, hob ich die Hand und schlug ihm fest ins Gesicht. Und ich meine richtig fest. Klatsch! Er stoppte mitten im Satz, vor Entsetzen erstarrt. Dann legte er seine Hand auf die Wange.
    »Verdammte Kacke, wieso hast du das gemacht?«
    »Du musst mir zuhören. Wir müssen abhauen. Bitte, bitte, bring mich weg von hier, Spinne. Los, komm.« Ich griff nach seiner andern Hand und zog, bis er sich endlich rührte. Ich fing an zu laufen und zerrte ihn mehr oder weniger mit, dann rannte auch er. Als er erst mal in Schwung kam, ließ er meine Hand los und spurtete vor mir her, seine langen Beine holten weit aus, die Arme pumpten. Fünfzig Meter weiter blieb er stehen und wartete auf mich, danach joggten wir nebeneinanderher, an Embankment vorbei und über die Hungerford Bridge. Wir wurden langsamer, liefen bis zur Mitte der Brücke, dann blieben wir stehen und schauten dorthin zurück, wo wir hergekommen waren. Alles war noch wie vorher, keine Anzeichen von irgendwas.
    »Was ist los, Jem? Was soll das Ganze?«
    »Nichts. Du hast bloß die Leute genervt, das ist alles. Jeden Moment hätte einer die Polizei gerufen.« Hätte doch sein können, oder? Aber schon als ich es aussprach, wusste ich, es klang viel zu lahm und Spinne ließ sich nicht täuschen.
    »Ich glaub dir kein Wort. Schau dich doch mal an. Irgendwas stimmt nicht. Siehst ja aus wie ’n Geist, Mann. Noch weißer als sonst schon. Was issen los mit dir?«
    Während ich dastand, über die Themse schaute und auf die Stadt, die einfach weitermachte, als wäre es ein ganz normaler Tag, spürte ich plötzlich, dass ich mich zum Idioten gemacht hatte. Die Worte, die mir durch den Kopf gingen, waren unwirklich, selbst für mich – Zahlen, Todesdaten, Katastrophe  … Es klang lächerlich, wie eine dämliche Horrorvision. Und vielleicht war es ja auch nur ein fieses Spiel, das sich mein Gehirn mit mir

Weitere Kostenlose Bücher