Denn dein ist die Schuld
befahrenen, zweispurigen Verkehrsader. Schon fast eine Autobahn. Aber nachdem die Wagen sie mit dem Fernlicht angestrahlt hatten, brausten sie genauso schnell davon, wie sie gekommen waren, und hinterließen bloß eine rote Leuchtspur der Rücklichter auf dem nassen Asphalt.
Die Ispettrice dachte gerade, dass sie diesen Dreck nicht mehr lange ertragen konnte, als Susies Stimme direkt hinter ihr sie aufschreckte.
»Pass bei Karola auf. Die ist nicht auf den Kopf gefallen und kann sich einiges zusammenreimen«, sagte sie auf Russisch.
»Und was sollte sie sich zusammenreimen?«, fragte Leoni hart und schroff.
»Dasselbe wie ich«, antwortete Susie ruhig.
»Und das wäre?«
»Dass du keine Nutte bist. Man sieht das. Was bist du? Eine Polizistin? Eine Privatdetektivin? So eine habe ich mal kennen gelernt. Die Frau eines Freiers hatte sie uns auf den Hals gehetzt. Sie wollte wissen, was ihr Mann machte, wenn er später von der Arbeit nach Hause kam.« Susie lachte. »Allerdings war sie als Nutte besser als du. Wer bist du wirklich?«
Leoni antwortete nicht. Sie stellte lieber eine Gegenfrage.
»Warum sollte ich bei Karola aufpassen?«
»Weil sie eine von Olgas Lieblingen ist. Du hast Glück. Karola hat in diesen Tagen viel mit ihrem Sonderkunden zu tun. Die Ärmste hofft, dass er sie heiratet!«, entgegnete Susie auf Italienisch und gab damit zu verstehen, dass für sie die Komödie vorbei war. »Sonst hättest du schon längst Probleme.«
Leoni tat so, als müsste sie sich unter der Achsel kratzen, in der sie das Mikrofon versteckt hatte. Sie schaltete es ein und beschloss dann, dass jetzt der Moment gekommen war, die Karten auf den Tisch zu legen.
»Woran hast du es gemerkt?«, fragte sie auf Italienisch.
»Na ja, der Akzent. Du bist nicht aus Transnistrien und auch nicht aus der Ukraine. Du sprichst gut, aber jemand von da bemerkt den Unterschied. Und dann, ich weiß auch nicht. Deine ganze Art, wie du dich bewegst … Sei vorsichtig.«
Leoni merkte sich innerlich vor, dass sie sich in Zukunft nicht mehr für solche Undercover-Einsätze melden sollte.
Schluss mit der Ukrainerin.
Und adieu, Nistrierin.
Vielen Dank für alles, Mama, aber jetzt reicht es!
Ganz offensichtlich war ihr Russisch nicht mehr so überzeugend wie früher. Oder vielleicht war es das auch nie gewesen. Nach ihrer Teilnahme an der »Operation Gazelle« hatte sie sich ein wenig gehen lassen. Jetzt hatte sie nicht mehr den richtigen Biss für diese Dinge. Als Hure aus Osteuropa taugte sie nicht mehr. Weiterzumachen wäre gefährlich.
»Und warum soll ich mich vor Karola in Acht nehmen und stattdessen dir trauen?«, fragte sie mit einem Kloß im Hals, nur um das Gespräch in Gang zu halten.
»Ich weiß es nicht. Aber du solltest es wissen. Ich habe dir sofort gesagt, dass dein Akzent falsch ist, nicht Karola. Wenn ich dir Schwierigkeiten machen wollte, wärst du jetzt nicht mehr hier.«
»Richtig. Warum tust du das? Ich meine, warum gehst du ein Risiko ein, um mich zu warnen? Ich könnte dich verraten.«
»Ja, das könntest du. Aber ich hoffe, dass du wirklich Polizistin bist. Dann wirst du mir zuhören.«
»Was hast du denn zu erzählen?«
»Viele Dinge. Aber nicht hier und nicht jetzt. Wir können hier nicht ungestört reden. Man kann uns sehen. Du weißt nicht, wer in den Autos sitzt, die dort drüben parken. Sie kontrollieren uns ab und zu. Besonders die Neuen wie dich. Und du weißt nicht, wann sie kommen. Aber sie kommen bestimmt. Reden wir ein anderes Mal …«
Volltreffer! Die Ispettrice musste sich bemühen, ihr zufriedenes Lächeln zu unterdrücken.
»Hör mal, Susie. Morgen werde ich nicht mehr hier sein. Aber du kannst zu mir kommen …«
»Ich kann nirgendwohin kommen. Ich wohne bei Karola und den anderen Frauen«, flüsterte Susie, ohne sie anzusehen, während sie sich eine Zigarette anzündete, und sprach ein wenig zur Seite.
»Wie machen wir es dann?«
Das war praktisch ein Eingeständnis. Sandra Leoni, die beim Reden Susie den Rücken zugekehrt hatte, hoffte, dass die ihr Flüstern verstanden hatte.
»Ich rufe dich auf dem Handy an.« Susie war unvermittelt wieder zum Russisch zurückgekehrt, weil sie das besser konnte und absolut sichergehen wollte, dass Sandra sie verstand und sie sich nicht wiederholen musste. »Einmal pro Woche dürfen wir unsere Familie anrufen. Wir nehmen dafür die Telefonkarten für Auslandsgespräche, die billigen. Morgen werde ich nicht meinen Mann und meinen Sohn anrufen, sondern
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