Denn dein ist die Schuld
getroffen, die das Baby dann übernommen hatten. Man hatte Giovanni in den Kinderwagen verfrachtet, auf diese Weise hatte der Unbekannte oder wahrscheinlicher die Unbekannte mühelos das Fahrzeug erreichen können, das am Ausgang auf sie wartete. Vermutlich der Geländewagen, der in der Via Manin gewendet hatte.
Man zog alle Theorien in Erwägung: von der Idee, es könnten Zigeuner gewesen sein, über ein geistesgestörtes Paar auf der Suche nach einem Baby, obwohl jedoch alles darauf schließen ließ, dass es sich um eine normale Entführung handelte, die von Profis vorbereitet und durchgeführt worden war.
KAPITEL 15
Mittwoch, 7. Februar, 17:00 Uhr
Giovannis Eltern, die die Carabinieri nach der Entführung im Büro im Verwaltungsviertel der Via Corelli beziehungsweise beim Friseur ausfindig gemacht hatten, eilten unverzüglich nach Hause in den Viale Majno, nur einige hundert Meter entfernt von der Stelle, an der man dem Kindermädchen das Baby aus den Armen gerissen hatte.
Laura Simonella, deren Haare immer noch feucht waren, weil sie zu früh unter der Trockenhaube hervorgekommen war, bot mit ihrer im Fitnessstudio gestählten Figur, dem englischen Tweedrock und einem Kaschmirpulli ein Erscheinungsbild schlichter Eleganz und blieb bei der Nachricht würdevoll und gefasst. So gefasst, dass den ermittelnden Staatsanwalt Carlo Maria Salvini, der sofort mit ihr reden wollte, ein vages ungutes Gefühl beschlich.
War sie so eiskalt oder nur eine echte Dame?
Eine Mutter, die ihre quälende Sorge um ihren verschwundenen Sohn mit Würde zu tragen wusste, oder eine Frau, die etwa so viel Mutterliebe im Leib hatte wie ein Fisch?
Der Staatsanwalt schwieg eine Weile und beobachtete sie verblüfft, während man das Hausmädchen in der Küche schluchzen hörte. Die Signora tat so, als bemerkte sie es nicht, aber ihr leicht angewiderter Gesichtsausdruck, wenn das Weinen nach einer kurzen Unterbrechung wieder einsetzte, verriet sie.
Ganz anders der Ehemann.
Ingegnere Luciano Simonella, ein eleganter, distinguierter Herr, konnte seine Gefühle schlecht verbergen. Im Gespräch mit dem Staatsanwalt gelang es ihm nicht, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken, und er musste ab und zu mitten im Satz abbrechen und die Kiefer zusammenpressen, weil seine Stimme brach.
Die Simonellas konnten keine Informationen beisteuern, weshalb ihr Kind entführt worden war. Sie hatten keine Feinde und waren auch nicht reich.
Wohlhabend vielleicht, sagten sie und reagierten so auf den Blick des Staatsanwalts, dessen Augen instinktiv über die Gemälde an den Wänden, die hundertprozentig antiken Möbel und all die Details glitten, die unverwechselbare Kennzeichen von Wohlstand sind, wie Plastikblumen vor einem Bild von Padre Pio von Armut zeugen.
»Es geht uns gut, Dottor Salvini«, sagte Ingegnere Simonella. »Aber Reichtum ist etwas anderes. Wir sind ganz bestimmt nicht in der Lage, ein Lösegeld zu zahlen. Allerdings …«
»Allerdings was? Fahren Sie fort«, hakte der Staatsanwalt nach.
Doch Simonella kam nicht dazu, Erklärungen zu geben, da seine Frau für ihn antwortete.
»Mein Mann will damit sagen, dass wir ja nicht wissen können, auf welche Summe sich eine mögliche Lösegeldforderung belaufen könnte. Vielleicht begnügen sich die Entführer schon mit ein paar tausend Euro. Wir sind keine Millionäre. Aber wenn die Forderung sich einigermaßen im Rahmen hält …«
»Signora, Sie wissen schon, dass es illegal ist, Lösegeld zu bezahlen, egal in welcher Höhe?« Dottor Salvini starrte sie verblüfft an. Redete sie jetzt wirres Zeug oder hatte sie die Angelegenheit innerlich bereits unter lästige, aber unumgängliche Unannehmlichkeiten abgelegt?
»Sicher ist mir das bekannt. Ich weiß auch, dass in so einem Fall das komplette Vermögen beschlagnahmt wird. Ich lese schließlich Zeitung. Aber Giovanni ist unser Sohn, und um ihn zurückzubekommen, wären wir auch bereit, ins Gefängnis zu gehen.«
KAPITEL 16
Mittwoch, 7. Februar, 19:00 Uhr
Vom Krankenhaus, wo man ihre Lippe verarztet hatte, wurde Nelea Eminescu auf direktem Weg ins Präsidium gebracht. Dort ließ man sie einige Stunden lang allein in einem leeren Büro im zweiten Stock warten. So lange, wie es eben dauerte, Giovannis Eltern zu benachrichtigen und Neleas Dokumente einer genauen Prüfung zu unterziehen, doch ihre Papiere waren in Ordnung.
Zwar hatte sie weder eine Aufenthaltserlaubnis noch eine Arbeitserlaubnis, und das Touristenvisum in ihrem
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