Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
sofort ganz klar im
Kopf. Sie wusste gleich, wo sie war und wie sie hierher gekommen war, obwohl sie immer noch nicht ahnte, warum.
Das Licht hatte sich verändert. Die Sonne war vom Fenster weitergewandert, und Harriet, die ja keine Möglichkeit hatte, die Uhrzeit festzustellen, vermutete, dass es Nachmittag sein müsste. Sie hatte schon wieder Hunger, und Durst bekam sie allmählich auch.
Die Zeit verging. Sie blickte aus dem Fenster auf die grauen Dächer, und als sie davon genug hatte, begann sie, die Bücher im Regal durchzublättern. Sie fand ein paar Fünf-Freunde -Geschichten von Enid Blyton, etwas von Arthur Ransome, eine stark zerfledderte Ausgabe von Black Beauty und eine von Peter Pan. War das hier einmal ein Kinderzimmer gewesen, fragte sich Harriet, irgendwann vor langer Zeit?
Der Nachmittag zog sich dahin, und im Zimmer wurde es immer wärmer und stickiger. Sie überlegte, ob sie eine Fensterscheibe einschlagen sollte, aber sie wusste auch, dass sie dann keinen Schutz mehr vor der kalten Nachtluft hätte. Und sie war sich auch nicht sicher, welche Strafmaßnahmen eine solche Aktion nach sich ziehen würde.
Sie merkte, dass sie anfing zu riechen wie auch der Eimer in der Ecke des Zimmers. Es kam ihr in den Sinn, dass sie noch nie in ihrem Leben schmutzig gewesen war oder keine sauberen Kleider gehabt hatte. Sie versuchte, den Durst zu ignorieren, der immer schlimmer wurde, und hockte sich mit einem der Enid-Blyton-Bücher auf den Boden, den Rücken an die Wand gelehnt. Ihre Mutter schimpfte immer mit ihr, wenn sie wieder mal die Nase in einem Buch hatte, obwohl es wichtigere Dinge zu tun gab, aber hier gab es ja nichts anderes zu tun. Der Gedanke an ihre Mutter schnürte ihr wieder die Kehle zusammen. Sie blinzelte ein paarmal und starrte so lange entschlossen die Buchseite an, bis das Gefühl nachließ.
Erst als sie schon Mühe hatte, die Schrift zu entziffern, merkte sie, dass es draußen allmählich dunkel wurde. Sie hatte
gerade das Buch weggelegt, als sie ein Knarren hörte, das ihr verriet, dass jemand auf der Treppe war. Sie wartete mit pochendem Herzen und hoffte inständig, dass es ihr Vater wäre, der kam, um sie zu holen.
Doch die Frau war allein, und wie am Morgen hatte sie ein Tablett in der Hand. Diesmal lagen ein paar Kekse darauf, noch etwas von dem Trockenobst und etwas, das wie eine Art Dosenfleisch aussah. Und dazu, wie Harriet mit Erleichterung registrierte, ein Glas Wasser.
»Wo ist mein Papa?«, fragte sie und streckte ihre steifen Beine, um sich an der Wand aufzurichten.
»Er ist … aufgehalten worden. Vielleicht hat er dich ja vergessen.«
Das war ein Fehler von der Frau, denn wenn Harriet eines wusste, dann war es, dass ihr Papa sie niemals vergessen würde. Panische Angst durchzuckte sie, schlimmer als alles, was sie bisher durchgemacht hatte. War ihrem Papa etwas zugestoßen? Etwas, was ihn daran gehindert hatte, sie abzuholen?
Sie überlegte, ob sie sich auf die offene Tür stürzen sollte, aber die Frau schien ihre Gedanken lesen zu können. »Ich würde es an deiner Stelle nicht versuchen«, sagte sie mit diesem merkwürdigen Lächeln, das Harriet schon kannte. »Die Haustür ist von innen abgeschlossen, und ich habe den Schlüssel. Es gibt kein Telefon. Und – ich würde dich wieder heraufschleppen müssen.« Ihr Ton machte deutlich, dass Harriet sich das nicht ernsthaft wünschen konnte. Die Frau lächelte wieder, dann ging sie hinaus und schloss die Tür hinter sich zu.
Noch während ihre Schritte draußen verhallten, stürzte Harriet sich auf das Essen und schlang die trockenen Kekse hinunter, und auch das eklige Dosenfleisch. Sogar das Wasser schmeckte schal, als hätte es schon längere Zeit im Glas gestanden. Sie trank ein wenig davon, doch dann dachte sie sich, dass es besser wäre, so sparsam wie möglich damit umzugehen –
und je mehr sie trank, desto eher würde sie wieder den Eimer benutzen müssen.
Während ihres kurzen Mahls war es im Zimmer noch dunkler geworden. Harriet hatte schon festgestellt, dass es keine Nachttischlampe gab. Jetzt fiel ihr auf, dass auch das Deckenlicht fehlte. Mühsam unterdrückte sie die aufsteigende Panik, während sie begann, die Wände systematisch abzusuchen und die Möbel, wo sie es konnte, zur Seite zu rücken. Als sie einmal um das ganze Zimmer gegangen war, fing sie noch einmal von vorne an, dann setzte sie sich resigniert auf das Bett. Es gab im ganzen Zimmer keine Steckdosen, und es waren auch keine
Weitere Kostenlose Bücher