Denn nie bist du allein - Crombie, D: Denn nie bist du allein - In a Dark House
reicht, Mr. Cavanaugh«, unterbrach ihn die Richterin mit einem Blick auf Kit. »Diese Anhörung wird bis auf weiteres vertagt.« Sie erhob sich seufzend. »Ich könnte sehr wohl auch zu dem Urteil gelangen, dass bis zum Beweis des Gegenteils keine der beiden Parteien geeignet ist, die Erziehung des Jungen zu übernehmen.«
Im Leben hatte sie eine bedauernswerte Figur abgegeben, und auch der Tod hatte ihr keine Würde verliehen.
Kincaid blickte auf Beverly Browns verrenkten Körper herab. Sie lag in der hintersten Ecke einer kahlen Asphaltfläche, aus deren zahllosen Rissen Unkraut sprießte. Ihr Kopf ruhte auf einem Haufen vom Wind herbeigewehter Abfälle, und ihre kleinen, mit Turnschuhen bekleideten Füße stießen an den Boden eines rostigen Metallfasses.
Als Maura Bell vom Crossbones-Friedhof gesprochen hatte, war vor seinem inneren Auge das Bild eines grasbewachsenen Kirchhofs mit alten, schief stehenden Grabsteinen aufgetaucht; stattdessen stand er nun auf diesem Stück Ödland, eingefasst von einem Zaun, an dem hier und da ein verwelkter Kranz hing oder ein Stück Trauerflor im Wind flatterte.
»Was ist das hier eigentlich für ein Ort?«, fragte er Maura, die neben ihm stand. Sie war sofort gerufen worden, als die Leiche entdeckt worden war, und hatte das Opfer selbst identif iziert.
Der Polizeiarzt hatte den Tod festgestellt, und jetzt warteten sie auf das Eintreffen der Pathologin, des Fotografen und des Spurensicherungsteams. Die Mühlen der Justiz mahlten langsam wie immer, und er versuchte seine Ungeduld zu zügeln. Auf eine Minute mehr oder weniger kam es jetzt sowieso nicht mehr an – schon bei Mauras Anruf hatte er gewusst, dass er es unmöglich noch zu Kits Anhörung schaffen würde. Aber daran durfte er jetzt nicht denken – seine privaten Sorgen würden warten müssen, bis er diesen Fall abgeschlossen hatte.
»Im Mittelalter war das hier ein Friedhof; eine ungeweihte Begräbnisstätte für Prostituierte und andere, die sich keine anständige Beerdigung leisten konnten«, antwortete Maura. »Als die Londoner Verkehrsbetriebe vor ein paar Jahren im Zuge der Erweiterung der Jubilee Line hier Erdarbeiten durchführten, stießen sie auf Skelette. Die Arbeiten wurden eingestellt,
und seither sind sämtliche Pläne für die Nutzung des Grundstücks auf Eis gelegt. Die Verkehrsbetriebe möchten ihr Netz ausbauen, die Anwohner hätten gerne einen Park, in dem auf irgendeine angemessene Art und Weise auch der hier bestatteten Toten gedacht wird. Und inzwischen tummeln sich hier Junkies und Dealer.«
»Ich hatte schon so einen Verdacht, dass sie eine Fixerin sein könnte, als wir sie zum ersten Mal gesehen haben«, sagte er und rief sich ins Gedächtnis, wie blass und fahrig die junge Frau gewirkt hatte.
»Sie könnte sich hier mit jemandem verabredet haben – zu einem Deal.«
»Kann sein. Aber Dealer erwürgen normalerweise nicht ihre Kunden.« Am entblößten Hals der Frau waren deutlich Blutergüsse zu erkennen.
»Eine versuchte Vergewaltigung, die tödlich endete?«
»Dann müsste er sie ja hinterher wieder angezogen haben.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ihr Tod ein Zufall ist. Und Sie glauben das auch nicht. Wir sind gar nicht weit von dem Lagerhaus entfernt, in dem Laura Novak ermordet wurde, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es Beverly Brown gewesen ist, die das Feuer gemeldet hat.«
»Könnte es sein, dass sie in der bewussten Nacht noch etwas anderes beobachtet hat?«, meinte Maura nachdenklich. »Aber wenn es so war, wieso hat sie es dann nicht gemeldet?«
»Vielleicht war ihr nicht klar, was sie da gesehen hatte. Oder vielleicht wollte sie jemanden schützen.«
»Oder vielleicht hatte sie Angst«, sagte Maura gedehnt.
»Mit gutem Grund.« Er dachte an die zwei kleinen Mädchen, die jetzt keine Mutter mehr hatten, genau wie Harriet Novak. Wer immer dieses Ungeheuer war, sie mussten ihm das Handwerk legen.
Und was war nun mit Harriet? Gemma hatte Recht, die Zeit wurde knapp. Er versuchte, den Gedanken zu verdrängen,
dass Harriet bereits tot sein könnte, dass sie ihre Leiche finden würden, achtlos weggeworfen wie ein Sack Müll, genau wie Beverly Brown.
»Wenn es ein und derselbe Mörder war«, sagte Maura, »warum hat er dann diesmal keinen Versuch unternommen, die Identität des Opfers zu verschleiern? Oder die Leiche zu verstecken? Sie war noch nicht einmal zugedeckt.«
Kincaid ließ den Blick über das öde Grundstück schweifen. »Weil ihm die
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