Denn vergeben wird dir nie
verhaltensgestörte Kinder.
Ich beschloss, vorerst noch keine Anzeige auf meine
Website zu platzieren, auf der ich ehemalige Mitschüler
oder Angestellte um Informationen über Rob Westerfields
Schulzeit bitten würde, sondern zunächst beide Anstalten
selbst in Augenschein zu nehmen. Ich rief die Schulen an
und erklärte, ich sei Journalistin und bereite ein Buch über
Robson Westerfield vor, der ihre Schule besucht habe. Bei
Arbinger wurde ich sofort an Craig Parshall weitergeleitet,
der für Öffentlichkeitsarbeit zuständig war.
Mr. Parshall teilte mir mit, die Schule verfolge die strikte
Politik, sich gegenüber der Presse nicht über Schüler,
seien es ehemalige oder gegenwärtige, zu äußern.
Auf gut Glück sagte ich: »Wenn ich richtig informiert
bin, haben Sie aber Jake Bern ein Interview über Robson
Westerfield gewährt.«
Es folgte eine lange Pause, die mir anzeigte, dass ich
einen Volltreffer gelandet hatte.
»Es wurde ein Interview genehmigt«, sagte Parshall in
steifem und herablassendem Ton. »Wenn die Familie
eines jetzigen oder ehemaligen Schülers ihr Einverständnis
für ein Interview gibt, dann können wir unter bestimmten
Umständen einem solchen Gesuch nachkommen. Sie
müssen sich vor Augen führen, Miss Cavanaugh, dass
unsere Schüler aus prominenten Familien stammen,
manche sind Söhne von Präsidenten oder Angehörige von
königlichen Familien. In gewissen Fällen kann es daher
angemessen sein, den Medien einen begrenzten Zugang zu
gewähren.«
»Und natürlich dient diese Art von Medienpräsenz dem
guten Ruf und dem Ansehen der Schule«, ergänzte ich.
»Andererseits, wenn auf einer Website täglich die
Tatsache verbreitet würde, dass der Mörder eines
fünfzehnjährigen Mädchens die Schulbank zusammen mit
einigen dieser vornehmen Schüler gedrückt hat, dann
wären diese und ihre Familien vielleicht nicht allzu
begeistert darüber. Und andere Familien würden sich
vielleicht zweimal überlegen, ob sie ihre Söhne und Erben
zu Ihnen schicken sollen. Hab ich Recht, Mr. Parshall?«
Ich gab ihm keine Gelegenheit zu antworten. »Alles in
allem könnte es für die Schule viel nützlicher sein, sich
kooperativ zu verhalten, meinen Sie nicht?«
Als Mr. Parshall nach längerem Schweigen antwortete,
war deutlich herauszuhören, dass ihm nicht wohl bei der
Sache war. »Miss Cavanaugh, ich werde Ihrem Gesuch für
ein Gespräch stattgeben. Ich möchte Sie aber darauf
hinweisen, dass man Sie einzig und allein darüber
informieren wird, wie lange Robson Westerfield hier
Schüler gewesen ist, und über die Tatsache, dass er den
Wechsel auf eine andere Schule beantragt und erhalten
hat.«
»Oh, ich erwarte nicht, dass Sie mir gegenüber zugeben,
ihn rausgeworfen zu haben«, sagte ich mit genüsslichem
Spott. »Aber ich bin sicher, dass Sie für Mr. Bern ein paar
Details mehr auf Lager gehabt haben.«
Wir kamen überein, dass ich ihn am nächsten Morgen
um elf in seinem Büro aufsuchen würde.
Arbinger liegt ungefähr vierzig Meilen nördlich von
Boston. Ich fand die Stadt auf der Karte, überlegte mir den
besten Weg dorthin und berechnete, wie viel Zeit ich
brauchen würde.
Dann rief ich die Carrington Academy an und wurde an
Jane Bostrom weitergeleitet, die für die Aufnahme der
Schüler zuständig war. Sie bestätigte, dass Jake Bern auf
Gesuch der Westerfield-Familie ein Interview genehmigt
worden war, und fügte hinzu, dass sie mir ohne Erlaubnis
der Familie kein Interview gewähren könne.
»Miss Bostrom, Carrington scheint mir als Privatschule
so eine Art letzte Instanz zu sein«, versetzte ich mit
Nachdruck. »Ich möchte nicht unfair erscheinen, aber der
Hauptzweck der Schule scheint doch wohl darin zu liegen,
dass sie Problemkinder aufnimmt und versucht, sie wieder
hinzubiegen. Richtig?«
Es gefiel mir, dass sie von Gleich zu Gleich mit mir
sprach. »Es gibt eine Menge Ursachen, weshalb Kinder
Probleme haben können, Miss Cavanaugh. Die weitaus
meisten dieser Ursachen haben mit der Familie zu tun. Es
gibt Scheidungskinder, Kinder mit viel beschäftigten
Eltern, die keine Zeit für sie haben, Kinder, die
Einzelgänger sind oder von den andern Kindern gehänselt
werden. Das bedeutet nicht unbedingt, dass ihre
intellektuellen und sozialen Fähigkeiten geringer sind. Es
bedeutet lediglich, dass sie überfordert sind und Hilfe
benötigen.«
»Eine Hilfe, die in manchen Fällen, trotz aller
Bemühungen, nicht von Erfolg gekrönt
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