Der Agent - The Invisible
wahrscheinlich zum Tode verurteilt, doch das war ein Gedanke, dem er sich jetzt nicht überlassen konnte. Er musste ihn nicht mal verdrängen, weil sich ihm seine volle Tragweite entzog. Er konnte es nicht ertragen, sich
mit den Konsequenzen seines Handelns zu befassen. Nicht jetzt, nicht hier. Vielleicht nie.
Fahim blickte zu ihm auf, als hätte er seine Gedanken gelesen. Er umklammerte das verwundete Bein, sein Gesicht war schmerzverzerrt. »Sie sind ein Idiot«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Haben Sie eine Ahnung, was jetzt passieren wird? Was Sie getan haben?«
»Nichts im Vergleich dazu, was ich gleich tun werde«, sagte Kealey kalt. Er konnte sich diese Frage selbst stellen, hatte aber nicht vor, sich von diesem Mann damit konfrontieren zu lassen, den er gerade niedergeschossen hatte. Seine Angst um Naomi setzte ihm bereits schwer zu, und er wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie ihn völlig paralysieren würde. Jetzt musste er sich aber zusammenreißen, denn sonst war alles, was er bisher getan hatte, umsonst gewesen.
Aus dem Augenwinkel sah er Pétain, die immer noch an die Stahltür gefesselt war. Sie hatte die Beine unter ihren Körper gezogen, und ihre rechte Hand umklammerte den linken Arm. Er spürte, dass sie ihn anschaute, wandte den Blick aber nicht von dem Mann ab, der zu seinen Füßen lag. Er kauerte sich neben ihm nieder.
»Hören Sie gut zu, Fahim«, sagte er mit bemüht ruhiger Stimme. Es kostete ihn Kraft, nicht an Naomi zu denken, nicht die Hoffnung zu verlieren, dass sie vielleicht doch überleben würde, obwohl er sie auf die schlimmste Weise betrogen hatte. »Ich werde Ihnen sagen, wie’s weitergeht. Nichts hat sich geändert, es liegt immer noch in Ihrem ureigensten Interesse, mir zu helfen. Sie werden mir alle Informationen geben, über die Sie verfügen. In Cartagena hat Machado behauptet, Sie wüssten, wo Benazir Mengal sich aufhält. Stimmt das?«
»Ja.«
»Was haben Sie noch?«
»Alles. Waffen, Munition, Fotos von der Observation … Wir beobachten ihn seit Tagen.«
»Auch jetzt noch?«
»Ja.«
»Ich muss noch einen Anruf erledigen, dann gebe ich Ihnen das Telefon. Sie werden Ihre Männer abziehen. Wenn meine Leute hier sind, müssen sie verschwunden sein. Niemand hält sich im Umkreis von fünf Kilometern um sein Haus auf. Danach rufen Sie Ihren Fahrer an. Ist er noch da?« Kealey wies in Richtung Parkplatz.
Fahim nickte matt.
»Gut. Sie werden ihm sagen, er soll sich mit dem Gesicht nach unten auf die Straße legen und sich nicht rühren, bis wir kommen. Wenn er nicht pariert oder ich eine Waffe in seiner Hand sehe, ist er ein toter Mann. Haben wir uns verstanden?«
»Warum sollte ich all das tun?«, fragte Fahim mit tonloser Stimme.
Kealey musste wider Willen bewundern, wie der Mann trotz großer Schmerzen Haltung bewahrte, doch das änderte nichts. Er würde alle Versprechungen machen, die im Moment vonnöten waren, aber letztlich würde er alle töten, die ihn in diese Lage gebracht hatten, Fahim eingeschlossen.
»Sie werden mich sowieso umbringen.«
Cleveres Bürschchen, dachte Kealey, insgeheim beeindruckt von Fahims Klarsichtigkeit. Aber er durfte sich nichts anmerken lassen. »Sie täuschen sich. Ich werde Sie nicht töten. Doch selbst wenn Sie recht hätten, Sie haben nichts zu verlieren. Falls Sie kooperieren, lasse ich Sie vielleicht am Leben, wenn nicht, haben Sie keinen Nutzen mehr für mich.« Er schwieg, um seine Worte wirken zu lassen. »Also? Ja oder nein?«
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, doch schließlich nickte Fahim mit schmerzverzerrtem Gesicht. »Ja. Ich kann beschaffen, was Sie brauchen.«
»Gut. Also, wo ist Benazir Mengal?«
Fahim begann sofort zu reden, und eine knappe Minute später wählte Kealey Jonathan Harpers Nummer. Der stellvertretende CIA-Direktor nahm sofort ab.
»Ich bin’s, Kealey. Hören Sie, ich …«
»Wo haben Sie sich herumgetrieben?«, fragte Harper, ohne sich die Mühe zu geben, seinen Zorn zu kaschieren. »Sie sollten …«
Kealey unterbrach ihn mit ein paar unfreundlichen Worten und legte mit seiner Story los. Es dauerte etwas, aber nach und nach verstand Harper, was ihm da zu Ohren kam. Er unterbrach Kealey nicht und hörte sich ungläubig an, was gerade passiert war. Und als Kealey fertig war, hatte er ganz vergessen, warum er so wütend gewesen war.
37
Washington, D. C./Nordpakistan
Es war kurz nach acht Uhr morgens, und Harper stand im Westflügel des
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