Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Albtraum meiner Kindheit und Jugend - Zwangseinweisung in deutsche Erziehungsheime

Der Albtraum meiner Kindheit und Jugend - Zwangseinweisung in deutsche Erziehungsheime

Titel: Der Albtraum meiner Kindheit und Jugend - Zwangseinweisung in deutsche Erziehungsheime
Autoren: Regina Page
Vom Netzwerk:
Die ehemaligen Heimkinder haben ein großes Bedürfnis, ihre Seele zu befreien von dieser Last. Wir können den Schmerz nachempfinden. Meine Schwester Elke und ich, wir fühlen mit ihnen und hören einfach nur zu.
    Bei allen Berichten ist es sehr lange her, doch die Erinnerung ist immer wieder nah. Jahrzehnte lang verdrängt, geschwiegen und sie haben sich geschämt, darüber zu sprechen. Alle haben wie wir diese Ängste ertragen müssen und die Furcht „entdeckt“ zu werden.
    Beschimpfungen, Beleidigungen und sexueller Missbraucht stecken tief in ihrer Seele. Familien haben sie gegründet, sind ihren Berufen nachgegangen, so unbeschwert konnten sie mit ihrer Last nicht umgehen. Sie haben lieber weiter geschwiegen. Ein Tabu-Thema bis in die heutige Zeit.
    Als ob der Bann des Schweigens seit einiger Zeit gebrochen scheint, kann man sich nicht dem Eindruck erwehren, dass jetzt aus allen Winkeln unseres Landes, Licht an die Tatsachen der Erziehungsmethoden der kirchlichen und staatlichen Institutionen in der Nachkriegszeit kommt.
    Bei zufälligen Gesprächen über dieses heikle Thema, stellt sich oft heraus, dass die Menschen aus unterschiedlichen Bereichen kommen. Der Arzt, bei dem man seit Jahren in Behandlung ist, die Nachbarin, Freunde sprechen auf einmal ganz offen darüber oder sie kennen jemanden der in so einer Erziehungsanstalt war oder sie selbst waren betroffen.
    Jahrzehnte sind vergangen, doch die Erinnerung ist bei vielen nah. Viele haben es geschafft und sind „ganz oben“, erzählen ihre Geschichte nur unter „Vier Augen“, und wollen nicht an die Öffentlichkeit. Sie schweigen weiter. Ihr Status in der Familie, im Berufsleben und ihr gesellschaftliches Leben könnte einen Riss bekommen. So tief ist der Makel in uns verwurzelt.
    Über die Menschen, die es nicht geschafft haben, gibt es keine Statistiken.

    Das Jahr 2003 geht zu Ende.
    In diesen Tagen verweile ich für ein paar Tage in meiner Stadt. Soll ich diese Stadt lieben oder hassen? Ich war mir nie ganz sicher, was ich für Gefühle in mir trug. Es zog mich immer wieder in diese Stadt und sobald meine Füße auf dem Asphalt der Straßen der Stadt standen, war ein Heimatgefühl in mir. Hier hatte ich immer das Gefühl zuhause zu sein.
    Ich laufe durch die Straßen meiner Kindheit, stehe vor der roten Schule und gehe über den Schulhof. Ich kann mich gut erinnern, dort war die Essensausgabe aus Armeebeständen.
    Die großen Bäume auf dem Schulhof sind alle noch vorhanden.
    Ich bin wieder das kleine Mädchen mit den Zöpfen. Die Erinnerung ist sehr stark.
    Dann laufe ich an dem Haus vorbei mit dem kleinen Zimmer, das wir 1945 nach der Flucht per Einweisung von der Stadt erhalten hatten.
    Da ist nebenan die Stelle, wo der Kohlenhändler uns die Kohlen für den Ofen auf Pump geliefert hat. Jetzt gehe ich die Treppen zu dieser Wohnung hinauf. Soll ich klingeln bei den Leuten die jetzt dort wohnen? Nein, Gedanken gehen durch meinen Kopf, an der Stelle, wo der Nachbarssohn uns Mädchen damals belästigte.
    Mir wird kalt, es ist Sommer, und mir wird ganz mulmig, ich gehe wieder auf der Straße, gehe zur Hauptstraße am Bahnhof vorbei, wo meine Schwester und ich einst mit Großmutter, Mutter, Vater ankamen, von der Flucht aus Elbing und wir heimlich nach zehn Jahre später wieder abgehauen sind, mit großen Hoffnungen in unserem wenigen Gepäck. Wieder wird mir bewusst, was wir an Leid und Traurigkeit durchleben mussten.
    Dann den Weg zur Spree. Wie oft lief ich zu der Bäckerei mit den Eclairs die so gut schmeckten. Es ist noch der gleiche Geruch wie vor über fünfzig Jahren. Mit einem Eclair in der Hand gehe weiter zur Spree, an unserem Plänterwald vorbei, bis zum Eierhäuschen. In diesem ehemaligen Kindergarten verbrachten meine Schwester und ich ein paar glückliche Tage. Die Erinnerung an unsere Mutter ist wieder da, alles ist sehr lebendig. Ich schaue aufs Wasser der Spree, der Steg ist noch vorhanden, hier hat mich ein Junge, aus unserer Schule, aus Spaß in die Spree geschubst, mit Armen und Beinen gepaddelt, schaffte ich es wieder an die Oberfläche zu kommen.
    Mutti ist da, hier bei mir, ich habe sie in meinem Herzen. Wie hat sie nur in ihrem Leben gelitten, uns immer wieder unter den schwierigsten Umständen behütet, beschützt und ihr Bestes gegeben. Widerwärtige Menschen waren in ihrem Umfeld.
    So musste sie leben, in den Lagern, den Behörden, die Nachbarn ließen sie nie in Ruhe. Leute die unsere Mutter nicht kannten, wollten sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher