Der Anschlag - King, S: Anschlag
die Polizei war nie meinetwegen da gewesen, obwohl sie vor allem an den Wochenenden oft aufkreuzte –, aber seine Überredungsversuche hatten wohl eher mit einem Überangebot an Wohnungen bei gleichzeitigem Mietermangel zu tun. Dallas erlebte gerade eine seiner periodischen Rezessionen.
Unterwegs machte ich bei der First Corn Bank halt und zahlte Fratis zwei Riesen auf mein Girokonto ein. Das war mein Glück. Später – viel später – wurde mir klar, dass das Geld bestimmt verloren gewesen wäre, wenn ich es in der West Neely Street noch gehabt hätte.
Ich hatte vor, alle vier Räume nach etwaigen Dingen zu durchsuchen, die ich dort zurückgelassen haben könnte – unter besonderer Berücksichtigung der Stellen, die so etwas auf unerklärliche Weise anzogen: unter Sofakissen, unter dem Bett und ganz hinten in Schubladen. Und ich würde natürlich meinen Police Special mitnehmen. Ich wollte die Sache mit Lee zu Ende bringen. Inzwischen war ich fest entschlossen, ihn zu beseitigen, und das würde ich möglichst bald nach seiner Rückkehr nach Dallas erledigen. Bis es so weit war, sollte nicht die geringste Spur von George Amberson zurückbleiben.
Je näher ich der West Neely Street kam, desto stärker wurde das Gefühl, in der Echokammer der Zeit zu stecken. Ich musste ständig an die beiden Fratis denken – der eine mit einer Frau namens Marjorie, der andere mit einer Tochter namens Wanda.
Marjorie: Ist das in normalen Worten eine Wette? Wanda: Meinen Sie so eine Wette, die sich danebenbenimmt? Marjorie: Ich bin J. Edgar Hoover, mein Sohn. Wanda: Ich bin Chief Curry von der Dallas Police.
Und wenn schon. Es war das Glockenklingen, sonst nichts. Die Harmonisierung. Eine Nebenwirkung von Zeitreisen.
Trotzdem begann irgendwo in meinem Hinterkopf eine Alarm glocke zu läuten, und als ich in die West Neely Street einbog, ertönte sie im Vorderhirn. Die Geschichte wiederholte sich, die Vergangenheit strebte nach Harmonie … darum ging es bei diesem Gefühl – aber nicht nur . Als ich in die Einfahrt des Hauses einbog, in dem Lee seinen dämlichen Plan, Edwin Walker zu erschießen, geschmiedet hatte, hörte ich wirklich auf die ses Alarmsignal. Weil es jetzt ganz nahe war. Weil es jetzt laut schrillte.
Akiva Roth war bei dem Boxkampf gewesen, aber nicht allein. Begleitet worden war er von einer Partymieze mit Garbo-Brille und Nerzstola. August in Dallas war keine Jahreszeit für Pelze, aber die Halle war klimatisiert gewesen, und manchmal musste man einfach zeigen, was man sich leisten konnte.
Nimm die dunkle Brille weg. Nimm die Nerzstola weg. Was bleibt dann übrig?
Ich blieb noch einen Augenblick in meinem Wagen sitzen, hörte den abkühlenden Motor knistern und knacken und war immer noch nicht schlauer. Dann plötzlich erkannte ich, wen man bekam, wenn man die Nerzstola gegen eine Bluse von Ship N Shore vertauschte: Wanda Frati.
Chaz Frati aus Derry war von Bill Turcotte auf mich angesetzt worden. Dieser Gedanke war mir sogar durch den Kopf gegangen … aber ich hatte ihn wieder verdrängt. Schlechte Idee.
Wen hatte Frank Frati aus Fort Worth auf mich angesetzt? Nun, er musste Akiva Roth von Faith Financial kennen; immerhin war Roth der Freund seiner Tochter.
Plötzlich wollte ich meinen Revolver, und zwar sofort.
Ich stieg aus dem Chevy und trabte mit meinem Schlüsselbund in der Hand die Stufen zur Veranda hinauf. Ich war noch dabei, den richtigen Schlüssel zu suchen, als ein Kastenwagen von der Haines Avenue her einbog und mit quietschenden Reifen entgegen der Fahrtrichtung vor der Nummer 214 hielt.
Ich sah mich um. Sah niemand. Die Straße war menschenleer. Es gab nie einen Umstehenden, den man zu Hilfe rufen konnte, wenn man einen brauchte. Von einem Cop ganz zu schweigen.
Ich rammte den Schlüssel ins Schloss und schloss auf, um sie auszusperren – wer immer sie waren – und die Polizei anzurufen. Als ich drinnen war und die heiße, abgestandene Luft der unbewohnten Wohnung roch, fiel mir ein, dass es hier kein Telefon gab. Ich hatte es abholen lassen.
Große Männer liefen über den Rasen. Ich zählte drei. Einer trug ein kurzes Stück Rohr, das in etwas eingewickelt zu sein schien.
Nein, es waren sogar genügend Männer für eine Bridge-Partie. Der vierte war Akiva Roth, der jedoch nicht rannte. Er kam mit den Händen in den Hosentaschen gelassen lächelnd den Plattenweg heraufgeschlendert.
Ich knallte die Wohnungstür zu. Schob den Sicherungsriegel vor. Ich war kaum damit fertig, als
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