Der Bademeister: Roman (German Edition)
Zimmer, ein langer Flur, am Ende mein Zimmer, wir aßen in der Küche, eine Schande, sagte mein Vater, sagte nicht, warum, ein feiges Pack, wütete er, und meine Mutter nickte ängstlich mit dem Kopf. Was hat der Junge heute gemacht? fragte er meine Mutter, was willst du, Geschichte lernen? höhnte er, weißt du, was Lügen sind? Dir hätten sie es schon gezeigt, mein Sohn soll das sein, steckt den Kopf in seine Bücher und kann mir nicht einmal ins Gesicht schauen, was starrst du mich so an? Hörte die Schritte im Flur, fühlte gleich seinen Blick, die blassen Augen, als warteten sie ab, ob ich herunterstürzte, neugierig, als stünde ich aufgestellt, stünde mit anderen in einer Reihe, so stand ich vor ihm, als könnte er mich jederzeit hinunterstürzen, und ich wusste nicht, wohin.
Hat mich gepackt, ins Bad gezerrt, vor den Spiegel, schlug mich vor dem Spiegel mit seinem Gürtel, beug dich über die Badewanne, herrschte er mich an, hier, er drehte meinen Kopf zum Spiegel und ohrfeigte mich, ich sah den nackten Körper im Spiegel, mein Gesicht.
Als mein Vater begraben wurde, ging ich nicht zur Beerdigung; ich saß in meinem Zimmer, er würde die Zimmertür nicht aufreißen, würde mir das Buch nicht aus der Hand reißen und wegnehmen. Ich musste nichts verstecken, kein Buch unter der Bettdecke, nicht mein Gesicht, nicht meine Schuhe und wo ich damit gewesen war, ich dachte, dass ich sterben würde, mein Vater hatte sich erhängt, ich hatte das Gerücht gehört, ein Klassenkamerad sagte es mir, mein Vater hätte das getan, Kinder erschossen, und jeden Tag kamen die anderen Jungen in der Schule zu mir, in einer Grube hätte er sie erschossen, die Mädchen sprachen nicht mit mir, sie liefen weg, wenn ich in ihre Nähe geriet, erschossen, sagten die Jungen, und ich sah seine Augen vor mir, meine Mutter hatte sie ihm geschlossen, sie war sehr schnell so ruhig gewesen, als wäre sie erleichtert. Erst drei Tage später, als ich nicht zur Beerdigung mitwollte, schrie sie, schrie mich zum ersten Mal im Leben an, und da ich mich nicht fügte, glaubte ich, mir könnte niemand etwas tun.
Man hat das Schwimmbad geschlossen. Ich bin entlassen. Der Einzige bist du nicht, hat Cremer mir gesagt. Das Gebäude gegenüber ist von einer grünen Plane verdeckt. Erst dachte ich, es würde renoviert, jetzt bin ich nicht mehr sicher. Man hat dort keinen Kran, keine Container aufgestellt. Vielleicht sprengen sie es in die Luft oder höhlen es von innen aus, Grundmauern und Fassade bleiben stehen, und alles andere wird herausgerissen. Drei Wochen bin ich durch die Stadt gelaufen. Innerhalb einer Woche verändern sich die Straßen, man läuft durch Niemandsland, bevor man sich versieht, mit einem Mal fehlt eine ganze Häuserzeile, dahinter erheben sich die nackten Brandmauern über Erdlöchern, Brachen, in denen zwischen vergammeltem Hausrat Brennnesseln wachsen, zerborstene Schränke, Waschmaschinen, Fernseher liegen dort, zerbrochene Fenster, darüber Ziegel, Türen manchmal über der Leere, das Innere einer Wohnung mit Tapeten, Wasserleitungen.
Lief weiter durch die Straßen, verlief mich oft, ich habe sie nicht wiedererkannt, von einem Tag zum anderen wusste ich nicht, ob ich schon hier gewesen war, selbst Häuser, die ich schon einmal gesehen haben musste, erkannte ich nicht wieder, die Häuser werden abgerissen oder eingerüstet, dachte ich, die Fenster ausgerissen, die Bewohner ziehen weg, und ich vergaß, dass ich sie nicht gekannt hatte, fand vor einer Hofeinfahrt vertrocknete Pflanzen, zerbrochenes Geschirr, einen Karton mit Briefen, alle im Aufbruch begriffen, dachte ich, sie gehen, suchen woanders eine Arbeit, ziehen ein paar Straßen weiter oder aus der Stadt.
Keiner wird etwas sagen, wenn sie das Volksbad sprengen. Fast hundert Jahre steht es hier, die schmiedeeisernen Gitter mit den Fischen, die Blumen, die sich bis zur Galerie an den Pfeilern hinaufranken, die Bögen, die türkisen Kacheln in ihren unterschiedlichen Färbungen, die Nische an der Stirnseite in Form einer Muschel.
Ich lasse mich nicht vertreiben. Meine Aufgabe war es, darauf zu achten, dass keiner ertrinkt. Keiner ist ertrunken.
Schon früher gab es Spinnen. Aber jetzt haben sie sich vermehrt, haben jede Furcht verloren, ihre Netze überall, dicht wie die grüne Plane gegenüber, wie etwas, das luftdicht ein Gefäß verschließt. Die rechte der beiden Treppen, die im hinteren Teil der Halle zur Galerie hinaufführen, ist so zugesponnen, als sollte sich
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