Der Bastian
das ist fein.«
»Spätestens morgen wohnt die Susi bei ihr. Ach,
Kathinka — ich denke an dich — bei jedem Schritt denke ich an dich...«
Sie lachte zufrieden. »Spürst du den Berg in den
Beinen?«
»Du lachst. Es ist tierisch. Ich wohn’ vier
Treppen hoch — bei jeder Stufe ruft der Berg. — Was machen deine Blasen?«
»Ich habe Schwester Theresas Jesuslatschen an.
Die sind mir zwei Nummern zu groß, aber sie drücken wenigstens nicht.«
»Ich glaub’, der Zug fährt ein. Ich ruf’ dich
nachher wieder an — ich ruf’ dich noch zehnmal an, Kathinka...«
Er wollte den Hörer küssen, erinnerte sich aber
noch rechtzeitig daran, wo er sich befand, und verließ die stinkende Zelle. Vor
der Tür ließ sich gerade eine alte Wermutschwester zur Ruhe nieder. »Na, Süßa?«
Ein zahnloses, gutmütiges Grinsen in einem verwüsteten Gesicht.
»Na, Tantchen?«
Sie rief ihm noch viele unverständliche Sachen
nach, während er sich den Bahnsteig suchte, auf dem seine Großmutter gerade
angekommen war.
Martha Guthmann stand bereits auf dem Perron und
verabschiedete sich von ihren Mitreisenden wie eine Gastgeberin nach einer
gelungenen Familienfeier. Wünschte allen alles Gute, bedankte sich für ein
Soßenrezept und war so mit Händeschütteln beschäftigt, daß sie ihren mit
schleifenden Schritten näher kommenden dreizehnten Enkel übersah. Er stand
einen Augenblick neben ihr und staunte.
»Ich kann zwei Tage in einem Abteil mit
denselben Leuten fahren, ohne mit ihnen zu reden. Du bist nach zwei Stunden
schon mit allen intim.«
»Du sagst ja auch nicht mal guten Tag, wenn
deine alte Großmutter aus der Fremde heimkehrt. Da-.« Sie hielt ihm die Wange
hin.
Er nahm ihr Gepäck auf, das bereits auf dem
Bahnsteig stand. Nur einen festverschnürten Karton wollte sie selbst tragen.
»Da sind sechzig frische Eier drin.«
»Was brauchst du sechzig Eier? Gibt’s etwa keine
mehr in München?«
»Doch, aber nicht so frische und dazu noch von
Hofhühnern.«
»Und wenn von den sechzig Eiern in zwei Wochen
noch etwa zwanzig übrig sind — sind das dann immer noch frische Landeier?«
Sie sah ihn mißbilligend an. »Was bist du frech
mit mir. Ich dachte, das wären nur die andern — also, Bub, ich sag’s dir —
unsere Familie!! Wir haben einfach zuviel davon, und man kann sie sich ja auch
nicht aussuchen. Solange sie klein sind, sind sie herzig, aber später sind sie
es nicht mehr. Ich muß dir erzählen — aber jetzt erzähl du mal erst. Also wie
dein Telegramm gestern kam — wir waren gerade beim Umkochen der Erdbeermarmelade
— von acht Gläsern hatten fünf Schimmel, die Ella wird’s nie lernen, nie — , da
klingelte es. Ella sagt, wer kann denn das sein, ich sage, ich seh mal nach.
Steht der Telegrammbote vor der Tür. Na, erst haben mir die Hände gezittert —
ich denke, Telegramm, was mag da los sein, dann hab’ ich meine Brille nicht
gefunden... Wo gehen wir denn hin, Bub?«
»Zur U-Bahn.«
»Und die Susi ist heimatlos? Ja, wenn ich das
geahnt hätte, natürlich kann sie bei mir wohnen. Wo wohnt sie denn jetzt?«
»Bei mir«, sagte Bastian.
Großmutter war ganz entsetzt unter ihrem Hut.
»Bei dir! Aber da ist es doch viel zu eng! Da hat das Kind ja nicht mal einen
Wickeltisch.«
»Doch. Hat es. Bloß ich hab’ keinen Arbeitstisch
mehr.«
»Das muß natürlich anders werden.«
Dann saß sie in der U-Bahn, den Eierkarton auf den
Knien, und schaute sich um, schaute alles genau an, damit sie es dem nächsten,
dem sie begegnete, in epischer Breite schildern konnte. »Hast du auch alles
mit?«
»Ja, Martha.«
»Und sind wir im richtigen Zug? Müssen wir nicht
aussteigen, Bub?«
»Schön ruhig bleiben«, er tätschelte ihre Hand.
»Noch zwei Stationen, dann steigen wir um.«
»Alles unter der Erde?«
»Ja, bist du denn noch nie mit der U-Bahn
gefahren?«
»Nein«, sagte Großmutter, »aber es gefällt mir.
Es gibt so hübsche Bahnhöfe — .«
Am nächsten Tag zogen Susi und Kathrinchen in
Martha Guthmanns Dreizimmerwohnung ein.
Großmutter hatte inzwischen die Schubfächer leer
gemacht, die Fenster geputzt und eine Chaiselongue in ihr ehemaliges Eßzimmer
gestellt. Danach fuhr sie zu Bastian und beschloß: »Die beiden kommen gleich
mit, packt nur das Nötigste, der Rest hat Zeit bis morgen. Natürlich müssen wir
das Zimmer renovieren. Das macht der Bastian. Die Susi schläft auf der Chaise,
die ist noch sehr gut, reines Roßhaar...«
Auch Großmutters Fürsorge war
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