Der Bernstein-Mensch
Fasern, die spinnwebfeine Linien zu einer Kugel in vibrierendem Raum spannen.
Sie verschlangen sich ineinander, vermischten sich zu etwas, das nach Bradley griff und ihn zwang, den Blick abzuwenden. Jede dieser komplexen Schichten …
… lautlos weinender Mann, zitternd …
… erweckte einen wirren Strom von Emotionen in ihm. Wie weit mochte diese Ordnung noch nach innen gehen? Mikroskopische Skulpturen, für das Auge viel zu fein gemeißelt?
Schwankend trat er zurück und starrte zum Himmel. Die Wolken wurden dünner, wie Nebel, wenn man sich ihm nähert, und er sah den Vater Saturn, der Titan in seinem Griff hielt. Jenseits des gestreiften Riesen bildeten zehn Milliarden Steme eine Galaxis, und zehn Milliarden Galaxien bildeten ein Universum. Die Milchstraße war ein Nebel, ein Diskus, der sich drehte, hunderttausend Lichtjahre breit. Der Diskus drehte sich wie ein Funkenwirbel, und Bradley konnte nicht sehen, wer ihn geworfen hatte.
… üppiger, feiner Lehm mit einem tiefen, erdigen Geruch öffnete sich zu seinen Füßen …
… eine nadelfeine Spitze von Angst zerteilte das Fleisch, ein süßer, gnädiger Stich …
… ein gefrorener Pfeiler von Urin sprang aus dem seidig-rostigen Land …
Er schrie in plötzlicher, aufberstender Erleichterung. Schrie. Er sank auf die Knie, ein Schüler der Sterne. Weinte. Sah und fühlte und umfing alles.
Der Himmel zersprang.
Etwas in ihm zerbrach.
Epilog
1
Mara fand ihn.
Er lag ausgestreckt im Kies von Titan, wenige Meter vor den kristallenen Gewächsen. Sein Anzug war intakt, aber sein Körper war kalt. Der Körperfunktionsanzeiger auf seinem Rücken registrierte kein Lebenszeichen mehr.
Sie bereiteten sich darauf vor, ihn zum Schreiter zurückzubringen. Vielleicht würde man seinen Körper zur Erde überführen, vielleicht würde man ihnen auch befehlen, ihn hier zu begraben. Sie wußte es nicht.
Lange betrachtete sie das Kristallgebilde. Tief in seinem Innern gab es Riefen, die eine Art Muster zu bilden schienen. Es war starr und unbeweglich. Ein interessantes Problem für die Solid-State-Physiker, dachte sie und wandte sich ab.
Ohne sich noch einmal umzusehen, trugen sie ihn weg von diesem Ort.
2
Siebzehn Tage später stieg Bradley Reynolds’ Leichnam, vakuumverpackt und in einem Beutel versiegelt, mit 12,3 km/sec von der Titanoberfläche auf. Mara, die bereits unter Drogen stand, um gegen die betäubende Langeweile auf der langen Reise zum Jupiter gewappnet zu sein, dachte immer wieder an die trockene Hülse, die sie mit sich führten. Aber immer wieder auch richteten sich ihre Gedanken in die Zukunft, auf das Orb und auf die Arbeit, die auf sie wartete, und sie wußte, daß die Ereignisse ganz von allein weiterrollen würden; sie würden sie mitreißen und allmählich die Spuren von Bradley Reynolds aus ihren Gedanken und aus der Welt tilgen.
Auf Titan hatte der Methanmonsun begonnen. Während des langen, milden Winters hatten sich Methantümpel gebildet, die nur wenige Meter tief waren. Als das Land sich in den Polargegenden allmählich erwärmte, konnte das Methan nicht länger flüssig bleiben. Es verdunstete, verkochte, verdampfte blitzartig. Windböen brachten die trägen, rosafarbenen Wolken in Bewegung, und diese Stürme trugen die Hitze zu anderen Teichen und Seen. Auch sie kochten in kürzester Zeit und gaben dem Prozeß neue Nahrung. Die turmhohen Wolkenbänke rasten über die zerklüftete Oberfläche von Titan, sie zerharkten das Land und trieben die Männer der Kuiper-Basis in die tiefsten Tiefen der Station hinunter.
So kam es, daß nur wenige Dienst taten, als ein gigantischer Sturm von
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