Der beste Karlsson der Welt
eben sehen, daß wir es mit Wecken schaffen. Geh und hole alle, die da sind.»
Lillebror schlich in die Küche und kam mit einer ansehnlichen Ladung Wecken wieder zurück. Mama hatte ihm ein für allemal erlaubt, daß er Karlsson Wecken geben dürfe, wenn es nötig sei. Und jetzt war es wahrhaft nötig.
Dagegen hatte Mama ihm nie erlaubt, mit Karlsson aufs Dach zu fliegen. Das hatte Lillebror allerdings vergessen, und er wäre erstaunt gewesen, wenn jemand ihn daran erinnert hätte. Lillebror war es gewohnt, mit Karlsson zu fliegen; er fühlte sich ruhig und sicher, und es kribbelte ihm nicht einmal im Magen, wenn er wie jetzt mit Karlsson durchs Fenster schwebte und zu Karlssons Häuschen oben auf dem Dach hinaufschnurrte.
Juniabende in Stockholm sind mit nichts anderem in der Welt zu vergleichen. Nirgendwo leuchtet der Himmel in einem so seltsamen Licht, nirgendwo ist die Dämmerung so zauberhaft und so schön und so blau. Und in dieser blauen Dämmerung ruht die Stadt auf ihren fahlen Wassern, so, als wäre sie aus irgendeiner alten Sage emporgestiegen und wäre überhaupt nicht wirklich.
Solche Abende sind für einen Weckenschmaus auf Karlssons Treppenvorplatz wie geschaffen. Meistens merkte Lillebror weder vom Licht des Himmels etwas noch von einer zauberischen Dämmerung, und Karlsson seinerseits scherte sich überhaupt nicht darum. Als sie nun aber hier so beisammen saßen und Saft tranken und Wecken aßen, da empfand zum mindesten Lillebror, daß dieser Abend mit keinem anderen zu vergleichen war. Und Karlsson merkte, daß Mamas Wecken mit keinen anderen Wecken zu vergleichen waren.
Das kleine Karlssonhaus war wohl auch mit keinem anderen Haus auf der Welt zu vergleichen, dachte Lillebror bei sich. Nirgendwo sonst konnte man ein so niedliches Häuschen in so schöner Lage und mit einer solchen Aussicht finden, und nirgendwo gab es wohl so viel Krimskrams an einem Ort beisammen. Karlsson war wie ein Eichhörnchen, er pfropfte seine Wohnung voll. Lillebror wußte nicht, woher er das alles hatte, und ständig kamen neue Dinge hinzu. Das meiste hängte Karlsson an die Wände, um leicht drankommen zu können, wenn er es benötigte.
«Der Krims muß links hängen und der Krams rechts», hatte Karlsson Lillebror erklärt. Mitten zwischen all dem Krims und Krams hatte Karlsson auch zwei feine Bilder aufgehängt, die Lillebror sich gern anschaute. Karlsson hatte sie selbst gemalt. Das eine Bild stellte einen Hahn vor und hieß «Porträt von einem sehr einsamen kleinen roten Hahn», das andere stellte einen Fuchs vor und hieß «Porträt von meinen Kaninchen». Die Kaninchen konnte man allerdings nicht sehen, aber das komme daher, weil sie in dem Fuchs drinnen seien, sagte Karlsson.
«Wenn ich mal Zeit habe, male ich auch ein Porträt von einem ungezogenen kleinen Schaf, das nicht springen will», erklärte Karlsson, den Mund voller Wecken.
Lillebror hörte kaum hin. Die vielen Geräusche und Düfte der Sommernacht strömten über ihn hinweg, so daß ihm beinahe schwindlig wurde. Er roch den Duft von blühenden Linden und hörte das Klappern von Absätzen auf den Pflastersteinen tief dort unten. Menschen gingen an dem schönen Juniabend spazieren, und dies Geklapper klang so sommerlich, fand Lillebror. Aus den Häusern rundumher kamen Stimmen, der Abend war ganz still, und alles war sehr deutlich zu hören. Die Menschen unterhielten sich und sangen und schimpften und schrien und lachten und weinten durcheinander und wußten nicht, daß oben auf dem Dach ein Junge saß und lauschte, als hörte er eine Art Musik.
Nein, die wissen nichts davon, daß ich hier mit Karlsson sitze und es so schön habe und Wecken esse, dachte Lillebror zufrieden.
Aus einer Dachkammer etwas weiter weg ertönte ein mächtiges Gebrüll und Gejuche.
«Hör dir meine Diebsstrolche an», sagte Karlsson.
«Welche denn — meinst du Fille und Rulle?» fragte Lillebror erstaunt.
«Ja, andere Diebsstrolche habe ich nicht, soviel ich weiß», sagte Karlsson. Er erhob sich und klopfte sich die Weckenkrümel ab. «Ich denke, es ist gut, wenn ich ihnen nach und nach ein bißchen Angst mache», sagte er. «Sonst gehen sie bloß los und grapschen sich lauter Sachen, die nicht ihre sind.»
Und nun flitzte er über die Hausdächer davon, auf die Dachstube zu. Lillebror hatte noch nie jemanden mit so kurzen dicken Beinen so schnell rennen sehen. Es war für jedermann schwierig, da Schritt zu halten, und Lillebror war ja auch nicht daran
Weitere Kostenlose Bücher