Der bleiche König: Roman (German Edition)
hinaus: Würde eine solche Statistik die Zahlen der Besucher, die in hellen Scharen in solche ultrabrutalen Filme strömen, sinken lassen? Nicht die Bohne. Und das ist das Verrückte; darauf will ich hinaus. Was würden wir tun? Wir würden am Wasserspender über diese verdammten, seelenlosen Unternehmen herziehen, denen die Lage der Nation scheißegal ist, weil sie nur Asche machen wollen. Einige würden dem Journal Star vielleicht Leserbriefe schicken oder ihrem Abgeordneten schreiben. Es sollte ein Gesetz geben. So was gehört verboten. Aber am nächsten Samstagabend würden sie sich trotzdem den blöden Brutalofilm ansehen, den die Dame des Herzens und sie gerade sehen wollen.«
»Es ist, als würden sie erwarten, dass der Staat die Elternrolle spielt und ihnen das gefährliche Spielzeug wegnimmt, aber solange er das nicht macht, spielen sie damit weiter. Ein Spielzeug, das für andere gefährlich ist.«
»Sie halten sich selbst nicht für verantwortlich.«
»Was sich irgendwie verändert hat, ist meiner Meinung nach, dass sie sich nicht für persönlich verantwortlich halten. Sie sehen nicht, dass ihr persönliches, individuelles Anstehen an der Kasse, an der sie eine Karte für den Exorzisten kaufen, Teil der Nachfrage ist, deretwegen die Unternehmensmaschinen immer mehr Gewaltfilme produzieren, um diese Nachfrage zu stillen.«
»Sie erwarten, dass der Staat etwas dagegen tut.«
»Oder dass Unternehmen eine Seele bekommen.«
»Das Beispiel erleichtert es sehr, zu verstehen, worauf Sie hinauswollen, Mr Glendenning«, sagte ich.
»Ich weiß nicht recht, ob Der Exorzist so ein gutes Beispiel ist. Der Exorzist ist eigentlich weniger brutal als pervers. Der Pate dagegen – der ist brutal.«
»Hab den Exorzisten nie gesehen, weil meine bessere Hälfte gesagt hat, lieber lässt sie sich Finger und Zehen mit einer stumpfen Schere abschneiden, als dass sie sich so einen Dreck ansieht. Aber nach allem, was ich gehört und gelesen habe, ist der Film verdammt brutal.«
»Ich glaube, das Syndrom ist mehr die Wahlenthaltung, dieses Gefühl des ›Ich bin so klein, und die Masse aller anderen ist so groß, was ändert mein Verhalten da denn schon?‹, und dann bleibt man lieber zu Hause und sieht sich Drei Engel für Charlie an, statt zur Wahl zu gehen.«
»Aber dann lamentieren sie einem wegen der gewählten Regierung die Raufaser von der Wand.«
»Vielleicht ist es also gar nicht so, dass der einzelne Bürger keine Verantwortung übernehmen will, weil er so klein ist und der Staat und das restliche Land so groß, dass man sowieso nichts ausrichten kann, also achtet man bloß darauf, dass man seine Schäfchen ins Trockene bringt.«
»Ganz zu schweigen davon, wie groß Unternehmen sind; wie soll da ein Einzelner, der keine Karte für den Paten kauft, Paramount Pictures in die eine oder andere Richtung beeinflussen? Was trotzdem Quatsch mit Soße ist; damit rationalisiert man nur, dass man keine Verantwortung für den winzigen Anteil übernehmen will, den man daran hat, was aus dem Land wird.«
»Meiner Ansicht nach gehört das alles dazu. Und es ist schwer, genau zu sagen, worin der Unterschied besteht. Und ich würde mich auch davor hüten, hier wie der letzte Muffkopf zu behaupten, die Leute hätten nicht mehr den Bürgersinn der guten alten Zeit und das ganze Land würde den Bach runtergehen. Aber anscheinend hatten die Menschen früher – ob nun bei den Steuern oder bei der Umweltverschmutzung – das Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein und dass dieses überwältigende große Ganze, das Politik, Geschmack und Gemeinwohl bestimmte, in Wahrheit aus zahllosen Individuen wie ihnen selbst bestand, dass sie in Wirklichkeit Teil des Ganzen waren und dass sie sich an Abmachungen halten und das Ihrige beitragen mussten und davon ausgehen konnten, dass sie genauso viel veränderten wie alle anderen im großen Ganzen, wenn das Land so schön und lebenswert bleiben sollte.«
»Heute fühlen sich die Bürger entfremdet. Quasi ein ›Ich gegen den Rest der Welt‹.«
» Entfremdung ist auch so ein großes Wort der Sechziger.«
»Aber wie konnten die Sechziger dieses entfremdete, mickrige, egoistische ›Ich kann ja doch nichts ausrichten‹ zur Folge haben, wo doch gerade die Sechziger, wenn sie überhaupt zu irgendwas gut waren, gezeigt haben, dass gleichgesinnte Bürger selbst denken können und nicht einfach alles schlucken, was das Establishment ihnen vorsetzt; man kann sich zusammentun, auf die Straße
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