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Der blinde Passagier

Der blinde Passagier

Titel: Der blinde Passagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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flatterten, und dieses Auto setzte sich zum Flugplatzgebäude hin in Bewegung. Seine Fahrt mußte dicht an der Gruppe der Passagiere vorbeiführen.
    Jetzt waren von den Menschen, die bisher ruhig hinter der Umzäunung gewartet hatten, die ersten Rufe zu hören. Und diese Rufe wurden um so lauter, je näher das Auto mit dem General herankam.
    Als der offene schwarze Wagen nur noch ein paar Meter von den gerade angekommenen Passagieren entfernt war, wußten die Fluggäste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollten. Um nicht unhöflich zu erscheinen, nahmen einige Herren ein wenig ratlos ihre Hüte ab. Frau Bergström winkte sogar.
    Draußen vor der Abzäunung brach eine Welle der Begeisterung los. Plötzlich hatten fast alle Papierfähnchen in der Hand. Und diese Fähnchen, die in die Luft gehalten und geschwenkt wurden, zeigten das Generalsgesicht mit der viel zu großen, dunklen Sonnenbrille. Die Rufe wurden immer lauter. Der General lächelte und streckte seine Arme aus. Und das wirkte wie ein Zeichen zum Sturm.
    Die Menge drängte nach vorn, durchbrach die Umzäunung und riß auch die Polizisten mit weißen Stahlhelmen mit, die bisher mit den Händen auf dem Rücken und gespreizten Beinen dagestanden hatten. Augenblicklich war das Generalsauto eingekeilt und umringt.
    „Viva il Presidente! Viva il Presidente!“
    „Er ist gar nicht der Präsident“, stellte einer der Passagiere in aller Ruhe fest. „Aber er will es werden. Im nächsten Monat sind Wahlen.“
    Doch das hörte Peter Schimmelpfennig nicht mehr. Im Bruchteil einer Sekunde hatte bei ihm der Funke gezündet. Er drückte der verwunderten Frau Bergström ihren braunen Krokodillederkoffer in die Hand und war mit zwei, drei Sprüngen mitten unter den fanatisch jubelnden Brasilianern. Er brüllte mit ihnen „Viva il Presidente!“ Allerdings mit dem Unterschied, daß er sich nicht in die Richtung zu dem Generalswagen drängte. Im Gegenteil — er schwamm sozusagen gegen den Strom und arbeitete sich zielstrebig Zentimeter um Zentimeter weiter in die Richtung der durchbrochenen Absperrung. Mit der Schimmelpfennigschen Segeltuchtasche, seinem Fotoapparat, dem Jackett und dem Wintermantel unter dem Arm war das gar nicht so einfach. Als Peter das Tor erreicht hatte, das von den jubelnden Brasilianern aufgebrochen worden war, ließ seine Begeisterung für den möglichen Präsidenten nach den nächsten Wahlen sofort nach. Er ging so schnell wie möglich, ohne aufzufallen, zum Platz vor dem Flughafen. Auch hier standen überall Militärs und Polizisten und hatten den Ausgang abgesperrt.
    Aber schließlich entdeckte Peter Schimmelpfennig doch eine lange Reihe parkender Wagen. Der erste war ein alter, schwarzer Chrysler.
    „Taxi?“ fragte Peter.
    „Yes, Sir“, sagte ein dicker Brasilianer, der neben dem Wagen mit den übrigen Fahrern zusammen im Schatten einer Baracke gesessen hatte. Sein Bart war bestimmt schon drei Tage alt; er nagte an einem Zahnstocher.
    Peter ließ sich in den Rücksitz des breiten Wagens fallen und holte erst einmal tief Luft. Der Schweiß lief ihm unter den Haaren hervor über die Stirn, sein Hemd klebte am Leib, und seine Hände waren so naß, als ob er sie gerade aus dem Wasser gezogen hätte.
    Der dicke Brasilianer hatte sich inzwischen hinter das Steuerrad seines Wagens gequält.
    „Where will we go?“ fragte er in einem Englisch, das einem die Schuhe auszog.
    „Avenida Presidente Vargas number 212“, sagte Peter Schimmelpfennig.

Dr. Liesegang läßt seine Redakteure ein
bißchen schmoren

    Zwischen den Häusern von Hamburg lag seit den späten Nachmittagsstunden dichter Nebel. Der Nachtfrost hatte schon eingesetzt, und die Straßen waren spiegelglatt.
    Die obersten Stockwerke des Pressehochhauses verloren sich in Dunst und Nacht. Nur einzelne Fenster waren beleuchtet. Im achten Stockwerk saß Dr. Liesegang mit seinen Redakteuren bei der Besprechung für die morgige Zeitung.
    Der Nebel, der draußen vor den Fenstern lag, wurde vom Qualm über dem großen Konferenztisch in den Schatten gestellt. Die Redakteure rauchten alle Zigaretten, Zigarren oder Pfeife. Vor ihnen lagen Fotos, Manuskripte und die Fernschreiben mit den Meldungen der Agenturen aus der ganzen Welt.
    Für Politik war ein älterer Mann mit schlohweißem Haar zuständig. Er sah ein bißchen wie Einstein aus. „Weihnachtsansprachen von so ziemlich allen Staatsoberhäuptern. Sie gleichen sich manchmal wie Schularbeiten, die ein Schüler vom anderen abgeschrieben

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