Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Bourne Betrug

Der Bourne Betrug

Titel: Der Bourne Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
Vom Netzwerk:
Verunstaltung, die sie erst seit Kurzem wahrnahm.
    Sie wusste, dass sie alles riskieren, alles Erdenkliche tun würde, um das Gefühl loszuwerden, sie sei ausgestoßen worden und gehöre nirgends mehr hin. Das konnte sie nur, indem sie sich wieder als würdig erwies. Erschoss sie Soraya, würde Jamil bestimmt zu ihr zurückkommen. Sie würde wieder wissen, wohin sie gehörte.
    Sie klappte ihren Mantelkragen gegen den vom Wind getriebenen Regen hoch und setzte sich in Bewegung. Eigentlich hätte sie in diesem Viertel Angst haben müssen – die Polizei hatte welche, das stand fest –, aber seltsamerweise hatte sie keine. Andererseits war das überhaupt nicht seltsam. Sie hatte nichts mehr zu verlieren.
    Anne bog auf die 7 th Street ab. Wonach hielt sie Ausschau? Welche Indizien bestätigten ihr, dass sie richtig vermutet hatte, dies sei der Stadtteil, in dem Soraya untergetaucht war? Ein Auto fuhr an ihr vorbei, noch ein weiteres. Gesichter – Schwarze, Hispanics, fremdartig, feindselig – starrten sie an, als die Wagen an ihr vorbeirollten. Einer der Fahrer grinste und streckte ihr mit einer obszönen Geste die Zunge heraus. Annes
Hand umklammerte die S&W in ihrer Manteltasche noch etwas fester.
    Unterwegs begutachtete sie die Häuser, an denen sie vorbeikam: abgewohnt, heruntergekommen, von Armut, Feuer und Vernachlässigung gezeichnet. Ihre winzigen Vorgärten lagen voller Abfall und Trümmerschutt, als wohnten hier Müllmänner, die ihre jämmerlichen Waren zum Verkauf ausstellten. Überall stank es nach verrottendem Müll und Fäkalien, nach Niederlagen und Verzweiflung. Hier und da liefen magere Hunde herum, die ihre gelben Zähne gegen sie fletschten.
    Anne glich einer Ertrinkenden, die sich an das Einzige klammerte, was sie vor dem Untergehen retten konnte. Ihre Hand am Griff ihrer Waffe war schweißnass. Dies war endlich der Tag, dachte sie vage, an dem die vielen Stunden auf dem Schießstand sich auszahlen würden. Sie glaubte, die tiefe, energische Stimme des CI-Ausbilders zu hören, der ihre Haltung korrigierte, während sie ihre Dienstwaffe nachlud.
    Sie dachte an ihre Schwester Joyce, erinnerte sich an die Schmerzen ihrer gemeinsamen Kindheit. Aber es hatte bestimmt auch Freuden gegeben, oder etwa nicht? Zum Beispiel die Nächte, in denen sie in einem Bett geschlafen und sich Gespenstergeschichten erzählt hatten, um zu sehen, welche von ihnen als Erste kreischte? Anne kam sich jetzt wie ein Gespenst vor, das durch eine allein ihr vorbehaltene Welt schwebte. Sie überquerte die Straße und kam an einem unbebauten Grundstück vorbei, das hüfthoch mit winterhartem Unkraut bewachsen war. Abgefahrene Reifen, leere Plastikflaschen, Einmalspritzen, gebrauchte Kondome, Mobiltelefone, eine rote Socke ohne Zehenkappe … Und ein abgerissener Arm.
    Anne fuhr zurück, glaubte zu spüren, wie ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte. Nur ein Puppenarm. Aber ihr Puls blieb weiter hoch. Sie starrte den abgerissenen Arm grimmig
fasziniert an. Er erinnerte sie an Joyces jäh beendete Zukunft, die auf einem Schlackehaufen aus abgestorbenem Unkraut lag. Worin unterscheiden Joyces Zukunft und meine Gegenwart sich eigentlich? , fragte Anne sich. Sie hatte schon endlos lange nicht mehr geweint. Nun schien sie’s verlernt zu haben.
    Der Tag war in sein nächtliches Grab gesunken, der eisige Regen zu kaltem Nebel geworden. Die Feuchtigkeit schien sich in ihrem Haar, auf ihren Handrücken festzusetzen. Ab und zu erklang in der Ferne Sirenengeheul, das meist rasch wieder erstarb.
    Hinter ihr war das Brummen eines Automotors zu hören. Sie blieb mit hämmerndem Herzen stehen, wartete darauf, dass der Wagen vorbeifahren würde. Als er das nicht tat, ging sie rascher als zuvor weiter. Das aus dem Nebel auftauchende Fahrzeug folgte ihr in geringem Abstand.
    Anne machte ruckartig kehrt, hielt die S&W umklammert und marschierte auf das Auto zu. Es hatte angehalten. Das Fahrerfenster glitt nach unten und ließ ein langes, runzliges Gesicht von der Farbe alten Schuhleders sehen, dessen untere Hälfte von grauen Bartstoppeln bedeckt war.
    Â»Sie sehen aus, als hätten Sie sich verlaufen«, sagte der Fahrer mit einer Stimme, die von einem Leben mit Teer und Nikotin heiser war. »Unregistriertes Taxi.« Er tippte mit zwei Fingern an seine Baseballmütze. »Ich dachte, Sie könnten ’ne

Weitere Kostenlose Bücher