Der Club der Teufelinnen
zu. »Sie sind eine ungewöhnliche Frau. Sehr ungewöhnlich. Habe ich recht?« Tanaki sprach ein elegantes, wenn auch nicht akzentfreies Englisch.
Völlig überrascht nickte Annie, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich weiß nicht.«
»O doch«, entgegnete er und lächelte, seine Augen jedoch blieben voller Trauer. »Wie alt ist Ihre Tochter?«
»Beinahe achtzehn. Und Ihr Sohn?«
»Hiroshi ist fünfzehn.«
Annie fragte sich, ob der Junge für seinen Vater eine Enttäuschung bedeutete. Schließlich war er der Sohn, der einmal die Familie und das Unternehmen hätte weiterführen sollen. Aber irgendwie hatte sie einen anderen Eindruck.
»Eine alte Seele ist er, Hiroshi.« Wieder schwieg Tanaki. »Sind Sie verheiratet?«
»Nicht mehr.«
»Ihr Mann ist tot?«
»Nein. Nein … er … er ist fortgegangen.«
»Ah. Amerikanische Männer. Sehr schwach. Ich beobachte sie. Sie haben keinen Familiensinn, keinen Sinn für …« Er überlegte, suchte nach dem passenden englischen Wort. »Sie sehen nur das Heute, so wie Kinder. Die Frau von heute, die Gewinne von heute. Investitionen von heute. Und wenn das alles alt geworden ist, ist es vorbei. Sie sind keine Väter.« Er schüttelte den Kopf. »Und japanische Männer machen es ihnen nach. Wie Gil Griffin werden sie sein in zehn Jahren.«
Annie nickte, erschüttert von so viel Offenheit seitens eines Mannes, eines Fremden und Japaners. »Dann kennen Sie also Gil Griffin?«
»Ich kenne viele Gil Griffins. Aber lassen Sie uns von wichtigeren Dingen sprechen. Gefällt Ihnen Kioto?«
»O ja, ganz außerordentlich. Es kommt mir wie ein Traum vor. Irgendwie ist mir, als ob ich es schon immer gekannt und geliebt hätte.«
»Sind Sie Christin, Mrs. Paradise?«
Annie nickte, obgleich sie sich da keineswegs so sicher war.
»Dann glauben Sie nicht, wie die Buddhisten, daß Sie früher schon einmal hier gelebt haben könnten.«
»Nein. Aber ich hätte es mir gewünscht. Es ist alles so makellos, ganz die richtige Art zu leben.«
Tanaki schüttelte den Kopf. »Auch dies hier geht zu Ende. Das alte Japan stirbt. Das ganze Wirtschaftswunder ist für die meisten alles andere als wunderbar gewesen, nur harte Arbeit und starke Belastung. All das Häßliche des Westens. Und bald wird die alte Schönheit nicht mehr sein.«
»Sie kann sich wandeln, aber sie muß nicht sterben.«
»Sie wird sterben. Sie wird durch anderes ersetzt werden. Die leeren Seelen werden sich ihrer bemächtigen.«
»Nicht, Mr. Tanaki. Bitte.«
Wieder der abschätzende Blick. »Wären Sie vielleicht interessiert, den kaiserlichen Katsura-Palast zu sehen, Mrs. Paradise?«
»Oh, gewiß.« Ihr stockte der Atem.
Er nickte. »Dann werden Sie und ich morgen dorthin gehen.«
Annie war sich bewußt, welches Privileg man ihr gewährte und welch ungewöhnliche Gelegenheit. Es bedurfte einer Sondererlaubnis, um die Villa Hideyoshis, des Herrschers im 16. Jahrhundert, zu besichtigen.
Elise und Brenda ließen es nicht an guten, wenn auch sehr unterschiedlichen Ratschlägen fehlen, worauf sie bei diesem Ausflug unbedingt ihr besonderes Augenmerk richten sollte.
Die atemberaubende, geradezu eisig klare Perfektion des Katsura erschien Annie durchaus nicht kalt oder zu steif. »Perfektion und Schlichtheit befreien«, meinte sie voller Bewunderung zu Mr. Tanaki, als sie von einem der Gebäude aus in den Garten hineinblickten. »Es ermöglicht dem Geist, sich vollkommen zu entspannen.«
»Alles nur für Hideyoshi. All diese Schönheit ist nur durch seinen Reichtum möglich geworden. Er war ein General und wurde ein Diktator. Er war ein gewalttätiger Mensch.«
»Kaum zu glauben.« Annie blickte sich um. Die Kiefernnadeln und die Zapfen sahen aus wie gekämmt und künstlich angeordnet. Schweigend standen sie, bis sie sich in Bewegung setzte und Tanaki ihr folgte.
Auf einem kleinen Hügel überkam sie eine Erkenntnis, ein tiefes Verstehen. Wie alle bewußtseinserweiternden Erfahrungen war auch diese nicht zu beschreiben, nur daß für einen kurzen Moment alle Dinge in Zeit und Raum in perfektem Einklang zu stehen schienen und sie mit ihnen. Ein Gefühl grenzenloser Freude wie grenzenloser Trauer durchdrang sie. Es war unvergeßlich. Von Dankbarkeit erfüllt wandte sie sich Tanaki zu. Leise sprach sie: »Ich danke Ihnen.«
Seine einzige Antwort war eine Verbeugung.
Dann gingen sie durch einige der Räumlichkeiten und bewunderten pflichtschuldigst die berühmten Malereien.
»Wunderschön«, bemerkte Annie.
»Auch ich
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