Der Club der Teufelinnen
Morty, Gil und Bill brauchten immer noch jemanden, der zu ihnen aufsah, während sie andererseits vor der damit verbundenen Belastung auswichen. Annie nahm an, daß ihre neuen Frauen pflegeleicht waren und gleichzeitig ihren Pflichtteil an Bewunderung leisteten. War Stuart nun auch von dieser vergrämten, vorwurfsvollen Sorte, oder war er anders? Mein Gott, bin nur ich so verbittert, oder zeigt sich hier das Ergebnis dessen, was sich überall während des letzten Jahrzehnts zwischen Männern und Frauen abgespielt hat?
Vielleicht würde sie heute etwas Brauchbares herausfinden, nämlich was Gil vorhatte und wo man ihn treffen konnte. Unsere Spionage-GmbH, dachte sie. Aber sie würde doch alles tun, damit es ein vergnüglicher Abend wurde. Weiß der Himmel, es gab wenig Möglichkeiten, etwas mit Männern zu unternehmen, doch genau das traf für alle Frauen mittleren Alters zu, die ihre Männer verloren hatten. Natürlich hatte es einige ›Anträge‹ gegeben. Aber Annie war vor jemandem wie Felix Borain, einem unattraktiven, reichen, siebzigjährigen Witwer ebenso zurückgeschreckt wie vor Georges Matin, einem amüsanten, aber offensichtlich schwulen Salonlöwen. Nach Aaron waren solche Männer unter ihrer Würde. Dann war sie lieber allein.
In ihrem Apartment angelangt, gab es einiges zu erledigen. Die Post war durchzusehen, ein Brief an Sylvie zu schreiben. Sie sehnte sich nach ihrer Tochter. Sie versuchte, ihr möglichst jeden Tag zu schreiben. Aber jetzt hatte sie dafür einfach keine Zeit. Sie würde sehen, daß sie nicht zu spät nach Hause kam, und es dann noch machen.
Obwohl ihr noch nicht einmal eine knappe Stunde blieb, goß sie sich erst einmal ein großes Glas Evian ein und setzte sich auf ihren Lieblingsplatz. Sie wollte ein wenig an ihre Tochter denken und an deren Leben in Sylvan Glades, an ihr eigenes Leben ohne Sylvie und ohne Pangor. Ihr fehlte nicht nur ihre Tochter, sondern auch der Siamkater. Trotzdem hatte sie sich noch nicht dazu überwinden können, sich ein neues Kätzchen anzuschaffen. Typisch für mich, sagte sie sich. Der Kater ist aus dem Haus, und ich schaffe es nicht, ihn zu ersetzen. Sie trank ihr Wasser aus. Um sieben würde Chris im Russian Tearoom sein und Stuart um acht bei Petrossian. Und ich muß hin, stöhnte sie und stand auf. Für heute hatte sie Hudson nicht bestellt, also würde sie ein Taxi nehmen müssen. Hoffentlich bekam sie eins; eins, in dem es nicht stank, dessen Fahrer Englisch verstand und auf ihren Zwanziger herausgeben konnte. Also los.
Sie brauchte nie viel Zeit zum Zurechtmachen. Kurz nach halb sieben schlüpfte sie in ein Paar elfenbeinfarbene Seidenhosen und ein dazu passendes seidenes Strickoberteil. Dann öffnete sie ihr Schmuckkästchen. Von den Stücken, die ihr ihre Mutter hinterlassen hatte, waren jetzt ein paar goldene Ohrclips und eine goldene Halskette ihre Lieblingsstücke. Als sie sie anlegte und in den Spiegel sah, meinte sie fast, ihre Mutter zu sehen. Aber ich bin nicht so schön. Meine Nase ist zu lang, das Gesicht zu rund und das Kinn zu klein. Ich bin allenfalls hübsch und attraktiv. Aber heute nacht kommt es darauf an. Vielleicht bringt es was, etwas mehr Lidschatten aufzulegen. Aber ihre Augen wurden dadurch auch nicht geheimnisvoller.
Nach einem Blick auf die Uhr beeilte sie sich. Duft, Schlüssel, Handtasche. Sie zog ein beiges, zart gemustertes kimonoartiges Oberteil von Hanae Mori über und betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Und ausziehen kann ich das alles auch immer noch. Sie lächelte sich zu und versuchte, sich selbst Mut zu machen. Ich sehe wirklich gut aus. Es war dumm von Aaron, mich zu verlassen. Passend zu ihrer positiven Einstellung kam auch gerade dann ein Taxi vorbei, als sie aus dem Haus trat. Vielleicht würde es doch ein schöner Abend werden.
Der Russian Tearoom war weihnachtlich geschmückt. Das hatte nichts mit der frühzeitigen Dekoration so vieler anderer Geschäfte in New York zu tun. Dieser Teesalon sah immer weihnachtlich aus, weil es dem Eigentümer so gefiel.
Zu den begehrtesten Tischen gehörten hier nicht etwa die in der Mitte des langen schmalen Restaurants, sondern die am Rand in der Nähe des Eingangs. Sehen und gesehen werden war auch hier das Wichtigste, aber der Luftzug an den Beinen war trotz der Messingdrehtür ausgesprochen unangenehm. Annie hatte deshalb nie etwas dagegen, wenn man ihr hinten einen Platz anwies. Und heute würde sie sich lediglich an die Bar setzen.
Aber Chris war bereits
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