Der Club der Teufelinnen
sich denn wirklich wie ein absolutes Arschloch benommen?«
Lieber Gott. Was sollte sie darauf sagen? Wie war es möglich, allen gegenüber fair zu bleiben, sich selbst eingeschlossen?
»Niemand ist ein absolutes was auch immer, Chris.« Etwas Besseres fiel ihr im Augenblick nicht ein. Und vielleicht war es auch gut genug. »Geh zur Hochzeit deines Vaters, wenn es dir möglich ist. Er ist kein Monster.« Sie fühlte sich erschöpft. Der Gedanke an das Abendessen mit Stuart Swann war mehr, als sie zu ertragen meinte. Sie holte tief Luft.
»Und jetzt muß ich gehen. Ich habe nämlich eine Verabredung.«
»Genau wie ich, Ma. Und ich wollte, daß du sie kennenlernst.« Er wandte sich einer Frau an der Bar zu, einer wirklichen Frau, kein junges Mädchen oder eine Studentin, wie Annie mit Verblüffung konstatierte. Sie mußte zehn Jahre älter sein als er! Aber, und auch das sah sie augenblicklich, sie machte einen angenehmen Eindruck. Sie schien eine in sich ruhende, exquisite Persönlichkeit zu sein, wie sie Annie Chris eigentlich nicht zugetraut hatte.
Sie hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Sie trat an ihren Tisch. Ihr zögerndes, freundliches Lächeln offenbarte einige feine Fältchen um die Augen.
»Mrs. Paradise?«
»Annie.«
»Annie, wir haben uns letztes Weihnachten kennengelernt. Ich bin Karen Palinsky.« Sie glitt auf die Bank neben Chris, und er nahm ihre Hand.
Ja. Jetzt erkannte Annie sie. Sie war eine von Aarons Angestellten. »Ich erinnere mich an Sie. Schön, Sie wiederzusehen.« Karen sah noch besser, weicher aus als bei ihrem letzten Treffen.
»Mrs. Paradise, Annie, ich möchte Ihnen eigentlich danken, dafür, daß Sie einen so wunderbaren Mann aufgezogen haben.« Karen wandte sich lächelnd zu Chris.
»Ach wo«, entgegnete er.
»Doch, wirklich. Man trifft nicht so oft einen Mann, der offen, entgegenkommend und kein Frauenhasser ist.«
»Wirklich?« fragte Annie.
»Sie waren nicht lange Single, stimmt's?« Karen lachte. »Oder Sie haben Glück gehabt.«
»Glück? Na ja, vielleicht.« Annie war etwas verwirrt. »Aber jetzt muß ich gehen. Wie ich sehe, Chris, lasse ich dich in guten Händen.« Sie gab ihm einen Abschiedskuß.
Zehn Minuten später betrat sie das barocke, extravagante Gebäude in der 58. Straße, in dem sich das Petrossian befand. Erst vor wenigen Jahren hatte man es von Grund auf renoviert, und jetzt beherbergte es eines der elegantesten Kaviar-Restaurants dieser Stadt.
Hoffentlich verspätete sich Stuart nicht, aber wenn er sogar zu Cynthias Beerdigung zu spät kommen konnte … Annie hatte noch nie gerne allein in einer Bar gesessen. Nicht genug Selbstvertrauen, nahm sie an. Dr. Rosen hatte schon recht gehabt. Aber daran wollte sie heute nicht denken. Sie war auch so schon nervös genug, mit ihren Mata-Hari-Ambitionen. Das Treffen mit Chris hatte sie aufgewühlt, und sie versuchte, es aus den Gedanken zu verbannen. Falls Stuart noch nicht da sein sollte, würde sie sich einfach einen Campari bestellen und ihre manikürten Fingernägel betrachten. Aber Stuart war schon da und hatte sich einen Drink bestellt. Er stand auf und lächelte. Kurze Umarmung zur Begrüßung.
»Du siehst einfach wundervoll aus, meine Liebe.« Er musterte sie aufmerksam. »Ich freue mich wirklich, daß wir uns einmal wiedersehen.«
»Ich freue mich auch, Stuart.« Annie erwiderte seinen Blick. Er sah immer noch gut aus, auf seine etwas strubbelige Art. Zwar hatte er etwas zugenommen, aber wer tat das nicht. Seine Haare, Augenbrauen und Wimpern waren von der gleichen hellbraunen Farbe wie bei Cynthia. Er hatte die gleichen feinen Sommersprossen und die braunen Augen, allerdings mit einem Gelbton und kleinen farbigen Sprenkeln in der Iris. Sprenkelauge, ja, so hatte sie ihn früher genannt. Annie lächelte. Ja, vielleicht wurde dies wirklich noch ganz nett.
»Ich danke dir, daß du gekommen bist. Ich sehe dich viel zu selten.« Er schwieg kurz. »Und das letzte Mal, auf dem Friedhof, war einfach furchtbar. Ich war völlig fertig. Wie der Teufel bin ich von Tokio rübergejagt, nur um zu spät zu kommen. Dieser verfluchte Gil. Aber es war gut, dich dort wiederzusehen.« Er nahm einen Schluck von seinem Drink, etwas Farbloses mit Eiswürfeln. »Ich weiß, ich habe mich an dem Tag danebenbenommen. Der Schock und dann der Jetlag. Außerdem war das Ganze so unglaublich – keiner, der sich im geringsten etwas aus meiner Schwester machte, nur du. Nur du warst irgendwie wirklich, und dein Gefühl für
Weitere Kostenlose Bücher