Der Datendieb - Wie Heinrich Kieber den größten Steuerskandal aller Zeiten auslöste (German Edition)
Reich bezeichnet, aber dass er den unseligen
Vergleich ausgerechnet in einem Brief an das Jüdische Museum gebraucht, dessen
Direktor als Jugendlicher vor den Nazis aus Deutschland flüchten musste, hat
eine neue Qualität. Für den Zentralrat der Juden in Deutschland ist klar: Nur
weil sich der Fürst wegen des LGT-Coups der deutschen Behörden ärgere, könne er
die Bundesrepublik nicht in eine Reihe mit dem Dritten Reich stellen. Der Fürst
verharmlose dadurch die Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Empörung ist
einhellig.
In
Liechtenstein dürfen die Untertanen die Scherben zusammenkehren. Sie versuchen
sich, so gut es geht, vom Vergleich zu distanzieren – ohne den Fürsten zu
brüskieren. Die Beziehungen zwischen Liechtenstein und Deutschland seien eng
und gut, lässt sich die Außenministerin zitieren, und sie würde es bedauern,
wenn der Brief »Anlass zur Verstimmung« geben könne. Regierungschef Hasler
verspricht gar, »alles zu unternehmen«, damit das Verhältnis der beiden Länder
wegen des Schreibens des Fürsten »keine nachhaltige Verschlechterung« erfahre.
Der Liechtensteinische Bankenverband lässt ausrichten, dass die Finanzinstitute
»in keiner Weise an neuen Misstönen« interessiert seien. Schließlich rudert
auch das Fürstenhaus in einer Stellungnahme zurück: Selbstverständlich sei es
nicht beabsichtigt gewesen, die grauenhaften Ereignisse des Dritten Reiches zu
verharmlosen.
Auch
Heinrich Kieber betätigt sich im Sommer 2008 als Briefschreiber. Er meldet sich
– ohne einen Absender anzugeben – bei seinem Freund Klaus Niederer:
»Ich
wollte dir schon lange schreiben; die besonderen Umstände, in denen ich mich
seit Mitte Februar 2008 befinde, haben es aber bisher schwierig gemacht, dies
zu tun. Die ganze Welt hat ja nun über den gigantischen Skandal lesen können.
80 Prozent ist Mist und die restlichen 20 Prozent eher belustigend. Wenn es in
meiner Macht läge, dann würde ich gerne wieder nach Hause kommen. Ich habe
leider nicht mitbekommen, wie der Skandal selber in unserem Land aufgenommen
wurde. Ich habe aber die deutsche Presse gelesen und auch die Schweizer. Die
Schweizer haben stark auf mich eingedroschen, die Deutschen hingegen
mehrheitlich den angeblichen Auslöser gelobt. Schon komisch. Ich bin aber nicht
für alles, was geschah, verantwortlich. Vielleicht sehen wir uns in unserem
Leben wieder einmal und ich kann dann deine Fragen beantworten, falls du welche
hast.«
Kein Wort verliert Kieber
darüber, dass er sein dem Freund gegebenes Versprechen gebrochen hat, die
Datenkopie, die er in der Hinterhand hatte, nicht einzusetzen.
Im Herbst 2008 wird die
Diskussion um den Finanzstandort Liechtenstein vom dramatischen Geschehen auf
den Weltmärkten überlagert. Die Finanzkrise, die im Frühjahr 2007 mit der
Immobilienkrise auf dem US-Markt begann, kulminiert am 15. September 2008
im Konkurs der US-Bank Lehman Brothers, woraufhin das Weltfinanzsystem zu kollabieren
droht. Die Staaten müssen Milliardenbeträge in die Stützung ihrer Banken
pumpen.
Für
Liechtenstein ist es ein schwacher Trost, dass der Finanzplatz nicht mehr im
Fokus ist. Denn die unter der Krise leidenden Länder haben einen enormen
Finanzbedarf, um die globalen Folgen des Lehman-Untergangs zu lindern. Die
Trockenlegung von Steuerparadiesen, so das Kalkül der Haushälter, könnte
dringend benötigte Milliarden in die Kassen spülen. Deutschland, Frankreich und
andere OECD-Staaten erhöhen im Oktober 2008 den Druck auf Steueroasen und
drohen Liechtenstein erneut mit der Schwarzen Liste. Ende des Monats einigt
sich Liechtenstein mit den USA auf ein Abkommen über den Austausch von
Steuerinformationen und trägt damit gegenüber den USA das Bankgeheimnis zu
Grabe. Daraufhin blockiert Deutschland das bereits ausgehandelte
Betrugsabkommen mit der EU [203] und verlangt mit Verweis auf das soeben
mit den USA vereinbarte Steuerinformationsabkommen vom Fürstentum weitergehende
Zugeständnisse, sprich: das Ende des liechtensteinischen Bankgeheimnisses auch
innerhalb Europas.
Galt in
Liechtenstein bisher die Doktrin, Informationsaustausch und Transparenz zu
bejahen, aber nur bei weitgehender Anonymität »verselbständigter Vermögen«,
vollzieht das Fürstentum nun eine spektakuläre Wende um 180 Grad. Am
10. November 2008 prescht die vom Datenskandal gebeutelte LGT vor und
verkündet zur Überraschung aller, dass ihr Treuhandunternehmen ab sofort nur
noch saubere, versteuerte Vermögen
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