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Der Delta-Stern

Der Delta-Stern

Titel: Der Delta-Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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und den Puls fühlte, fing an zu heulen.
    Die große junge Frau hatte seit ihrem zwölften Lebensjahr, als ihre Mutter an Krebs gestorben war, nicht mehr geheult. Sie war regelrecht fassungslos, daß ihr jetzt die Tränen kamen. Jane Wayne wischte sich verstohlen die Augen, wobei sie die Wimperntusche nur noch mehr verschmierte, und dann blickte sie kurz rüber zu Runzel-Ronald. Der hatte nichts bemerkt, würde allerdings in diesen Tagen noch nicht mal einen Elefanten auf dem Bürgersteig bemerken, es sei denn, er geriete durch ihn in unmittelbare Lebensgefahr. Jane Wayne wußte, daß sie mit einem Menschen reden mußte. Pronto.
    Da gab's nur eine Person, die in Frage kam. Sie verspürte mit einem Mal den überwältigenden Drang, ihr Lieblingssexobjekt zu finden, wobei es ihr allerdings gar nicht mal so sehr auf das Lieblingssexobjekt als solches ankam, sondern darauf, daß es sich um die einzige Person handelte, die absolut, unzweifelhaft und erwiesenermaßen verrückt war und deshalb alles kapieren würde. Deshalb startete sie eine Suchaktion nach dem Schrecklichen Tschechen und fuhr kreuz und quer im Alvarado-Revier herum.
    *
    Nachdem der Schreckliche Tscheche den Saufbruder aufgehängt und seinen Kampf mit dem störrischen Eßstäbchen heil überstanden hatte, war er für den Rest dieses Tages eigentlich ganz gut zuwege. Das heißt, er beschäftigte sich mit stinknormalen Sachen, beispielsweise mit dem sogenannten Lippen von Kubanern.
    Nie hatte der Schreckliche Tscheche aufgehört, eine lange Beschwerdeliste gegen seinen früheren Präsidenten herunterzuleiern, weil der sich von Fidel Castro so schrecklich übers Ohr hatte hauen lassen.
    »Patrioten!« schimpfte er. »Freiheitskämpfer. Klar. Auf diesen verdammten Booten, die aus Kuba gekommen sind, gab's ganze zweiunddreißig Freiheitskämpfer, aber fünfundzwanzigtausend Diebe, Sittenstrolche, Mörder, Geisteskranke und Perverse. Warum ist eigentlich Billy Carter nicht Präsident geworden? Den konnte man wenigstens besoffen machen, und dann konnte man Tacheles mit Billy reden!«
    Das Lippen von Kubanern bedeutete, daß jedesmal, wenn der Schreckliche Tscheche jemanden traf, den er für einen kubanischen Gangster hielt, dasselbe passierte, nämlich daß der Schreckliche Tscheche gleich im Anschluß an die Durchsuchung nach Waffen und nach den einleitenden Fragen, was der vermeintliche Gangster gerade im Schilde führte, den Verdächtigen völlig überraschend an der Unterlippe packte und sie dann herunterzog, um nachzusehen, ob der Mann da eine Tätowierung hatte.
    Der Ärger war ursprünglich dadurch verursacht worden, daß Fidel Castro in der Zeit, in der er Jimmy Carter aufs Kreuz legte, sämtliche Verrückte, Geisteskranke, Mörder, Räuber und Tunten, die er auf seinen lecken Booten nach Miami schickte, an dieser Stelle tätowieren ließ, aus dem einfachen Grund, weil man auf diese Weise jeden, der jemals die Absicht verwirklichen würde, sich nach Kuba zurückzuschleichen, sofort durch seine Tätowierung identifizieren konnte. Zunächst hatten einige den Versuch gemacht, die Tätowierung wegzubeißen oder sonstwie unkenntlich zu machen. Bis dann die kubanischen Behörden dazu übergingen, ihnen mit dem Gewehrkolben die Zähne einzuschlagen.
    Je häufiger der Schreckliche Tscheche über all das nachdachte, wenn er auf der Suche nach zu lippenden Kubanern in seinem Revier herumstrich, desto mehr kam er zu der Überzeugung, er müsse unbedingt den Namen Fidel Castro auf seinen Stimmzettel schreiben, wenn er das nächste Mal einen Präsidenten der Vereinigten Staaten zu wählen hatte. Fidel Castro war genau sein Typ.
    Der Schreckliche Tscheche, der immer schon ein gewissenhafter Cop gewesen war, schrieb sich die Namen, Adressen und Beschreibungen aller Leute, denen er schon mal die Lippe heruntergezogen hatte, sorgfältig in ein kleines Notizbuch. Außerdem auch alle Daten derjenigen Exilkubaner, die zusätzlich eine Tätowierung an der linken Hand hatten, ein Verfahren, das von kubanischen Gefängnisbanden praktiziert wurde, um ihre Mitglieder auf diese Weise nach der Art ihrer kriminellen Spezialitäten zu kennzeichnen, sei es Gewalttätigkeit, Diebstahl, Raub oder Mord.
    Cecil Higgins vertrat die Ansicht, es sei ziemlich unhygienisch, den Kubanern die Lippe herunterzuziehen, und er versuchte, wenn auch vergeblich, den Schrecklichen Tschechen davon zu überzeugen, daß er eines Tages noch die Tollwut kriegen würde, weil er seine Hände immer in fremder

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